Verbraucherkommission Baden-Württemberg stellt Positionspapier zur Pflege vor

Fazit: Die Verbraucherkommission fordert eine Diskussion darüber, ob die bisherigen beitragsgestützten Modelle in Zukunft noch tragfähig sind – und dass die Politik jetzt Alternativen diskutieren muss.

Das deutsche Pflegesystem wird den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen nicht mehr gerecht. Vor allem nicht ihrem Wunsch, so lange wie möglich in ihrem eigenen, häuslichen Umfeld versorgt zu werden. Eine ausreichende qualifizierte Pflege kann weder in Heimen noch zu Hause für alle Betroffenen gewährleistet werden.

Die Ursache für die Probleme sieht die Verbraucherkommission Baden-Württemberg (VK) unter anderem in der Steuerung des Systems über die Ausgaben (Geldleistungen), während die Steuerung in den skandinavischen Ländern über den Bedarf, also überwiegend in Sachleistungen erfolgt. Hier verweist die Verbraucherkommission auf das Institut der Deutschen Wirtschaft, das vor allem die Bundesländer in der Pflicht sieht, „da sie die Rahmenbedingungen für die Anbieter ambulanter und stationärer Versorgung gestalten, und somit maßgeblich dafür verantwortlich sind, ob sich und wie sich in diesem Bereich engagiert wird“.

Neue Wege der Pflege sind nötig

Zu den nicht zielführenden Vorschlägen zählt für die VK die Einführung eines Dienstpflichtjahres anlog der abgeschafften Wehrpflicht, das zehntausende Schulabgänger in Krankenhäuser, Sozialstationen und Pflegeheime spülen könnte. Gebraucht werden aber gut ausgebildete Fachkräfte für die Betreuung und Behandlung kranker Menschen.

Zu den Vorschlägen der Verbraucherkommission gehört, Krankenhäuser, die nicht mehr benötigt werden, in Pflegekompetenzzentren umzuwandeln. Ein Vorschlag, den auch die DAK-Gesundheit, eine der größten deutschen Krankenkassen, bereits formuliert hat. Dort könnten Angebote, von Beratung über spezialisierte Wohngruppen bis Kurzzeitpflege, unter einem Dach gebündelt werden. Grenzen zwischen ambulanter Pflege, Geriatrie und Pflegeheimen würden überwunden. Gerade im kommunalen und ländlichen Bereich könnte so die Pflege gestärkt werden.

Ein weitergehendes Konzept hat sich seit zehn Jahren in den Niederlanden bewährt. Dort gibt es den ambulanten Pflegedienst Buurtzorg (Nachbarschaftshilfe), dessen Grundidee die Netzwerkbildung ist sowie die Selbstorganisation der Pflege mit allen Beteiligten. Buurtzorg hat inzwischen mehr als 10.000 Mitarbeiter und wurde mehrfach zum attraktivsten Arbeitgeber des Landes gewählt. Die Gepflegten sind zufriedener, sie sind selbstständiger und unabhängiger.

Das System muss grundsätzlich neu gedacht werden

Die Verbraucherkommission kann und will nicht beurteilen, ob und welche alternativen Konzepte in Deutschland praktikabel sind. Die Verbraucherkommission ist jedoch der Ansicht, dass der hohe Anteil der Pflege durch Angehörige diese tendenziell überlastet und die Bildung eines grauen Pflegemarktes mit prekären Arbeitsverhältnissen fördert. Das Pflegesystem wird zudem den Bedürfnissen der Pflegekräfte nicht gerecht, wie die weit verbreitete Unzufriedenheit und der Mangel an Pflegekräften zeigen.

Zu klären bleibt für die VK deshalb, ob die Lösung der Probleme in einem ausgabengesteuerten Pflegesystem überhaupt noch möglich ist, das zu einem erheblichen Teil über die gesetzliche und private Pflegeversicherung finanziert wird. Oder ob es Aufgabe der Solidargemeinschaft und damit aller Steuerzahler ist, dafür zu sorgen, dass Menschen so wie sie es sich wünschen, in Würde alt werden und sterben können. Die VK fordert deshalb die politisch Verantwortlichen auf, eine neue Grundsatzdebatte aufzunehmen.

 

Hintergrundinformation:

Die Verbraucherkommission Baden-Württemberg berät als unabhängiges Expertengremium die Landesregierung in grundsätzlichen Fragen der Verbraucherpolitik und entwickelt Handlungsempfehlungen. Sie besteht aus 16 Vertreterinnen und Vertretern aus Verbraucherorganisationen, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien, die sich ehrenamtlich für das Gremium engagieren.

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