Neue Bevölkerungsvorausrechnungen: Hohe Zuwanderung schwächt Alterungsprozess der Gesellschaft ab

Zahl der Hochbetagten in Baden‑Württemberg könnte sich dennoch innerhalb von vier Jahrzehnten annähernd verdreifachen

Die Einwohnerzahl Baden‑Württembergs dürfte im Jahr 2015 nach ersten Schätzungen um mindestens 125 000 auf etwas mehr als 10,8 Mill. ansteigen. Damit hat sich – vor allem aufgrund des Zustroms an Flüchtlingen – der Trend der letzten Jahre mit steigenden Zuwanderungszahlen nochmals erheblich verstärkt. Im Jahr 2014 zogen per Saldo knapp 90 000 Personen in den Südwesten, im Jahr 2013 waren es rund 70 000. Dagegen war noch in den Jahren 2008 und 2009 die Einwohnerzahl des Landes aufgrund geringer Wanderungsgewinne und eines negativen Geburtensaldos (weniger Geburten als Sterbefälle) rückläufig.

Vor dem Hintergrund der derzeit bestehenden besonders großen Unsicherheiten im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Zuwanderung hat das Statistische Landesamt drei Vorausrechnungsvarianten erstellt. Nach der so genannten Hauptvariante, die auch in den kommenden Jahren von einer relativ hohen Zuwanderung ausgeht, könnte die Einwohnerzahl des Landes noch bis zum Jahr 2024 um rund 420 000 Personen auf dann 11,14 Mill. Einwohner ansteigen. Anschließend ist mit einem Bevölkerungsrückgang zu rechnen, weil sich das bestehende Geburtendefizit (weniger Geburten als Sterbefälle) aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung stetig vergrößern wird. Dieses Defizit kann aller Voraussicht nach nicht mehr durch die Zuwanderung ausgeglichen werden. Dennoch könnte die Einwohnerzahl im Südwesten auch 2060 noch geringfügig über der Ende 2014, dem Basisjahr der Vorausrechnungen, liegen. Nach der so genannten Unteren Variante, die von deutlich geringeren Wanderungsgewinnen ausgeht, würde der Bevölkerungsrückgang bereits im Jahr 2023 einsetzen. Im Jahr 2060 könnte die Einwohnerzahl um rund 340 000 Personen unter dem heutigen Niveau liegen. Dagegen würde die Einwohnerzahl nach der Oberen Variante noch bis zum Jahr 2041 auf etwa 11,77 Mill. ansteigen. Auch im Jahr 2060 hätte Baden‑Württemberg noch rund 11,54 Mill. Einwohner – immerhin gut 800 000 Personen mehr als im Basisjahr der Vorausrechnung.

Immer mehr ältere Menschen

Heute leben in Baden‑Württemberg sowohl rund 2,1 Mill. unter 20jährige als auch ca. 2,1 Mill. 65jährige und Ältere. Damit liegt der Anteil dieser Altersgruppen an der Gesamtbevölkerung bei jeweils knapp 20 Prozent. Künftig wird es aber deutlich weniger Jüngere als Ältere geben: Der Anteil der unter 20jährigen an der Gesamtbevölkerung wird sich bis zum Jahr 2060 – relativ moderat – auf dann nur noch etwas mehr als 17 Prozent verringern. 1 In einer gegenläufigen Entwicklung dürfte dagegen der Bevölkerungsanteil der 65-Jährigen und Älteren bis zum Jahr 2060 deutlich und zwar auf annähernd 30 Prozent ansteigen.

Überdurchschnittlicher Anstieg der Zahl hochbetagter Menschen

Für sozial- und speziell altenpolitische Planungen ist es von besonderer Bedeutung, dass künftig die Zahl älterer und vor allem hoch betagter Menschen deutlich ansteigen wird. Immer mehr Männer und Frauen erreichen ein hohes Alter. Bis Anfang der 2040er-Jahre dürfte sich ihre Zahl verdoppeln. Dann wären rund 540 000 Einwohner des Landes 85 Jahre oder älter. Bereits ein Jahrzehnt später würde sich ihre Zahl im Vergleich zu heute sogar annähernd verdreifachen. Es gäbe dann rund 800 000 Hochbetagte in Baden‑Württemberg. Da es sich hierbei um eine Bevölkerungsgruppe mit einem hohen Pflegerisiko handelt, dürfte künftig auch die Zahl der Pflegebedürftigen erheblich ansteigen.

Immer weniger junge, immer mehr ältere Menschen – diese Entwicklung hin zu einer im Schnitt immer älteren Bevölkerung ist bereits heute »vorprogrammiert«, weil insbesondere nach 2020 die geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960er-Jahren in die Altersphase der 60-Jährigen und Älteren hineinwachsen. Bereits von 1950 bis zum Jahr 2014 ist das Durchschnittsalter der Bevölkerung um rund neun Jahre gestiegen – von etwa 34 Jahre auf 43 Jahre. Und dieser Alterungsprozess wird sich in Zukunft fortsetzen. Bis zum Jahr 2060 ist mit einem weiteren Anstieg des Durchschnittsalters um knapp 5 Jahre auf dann 48 Jahre zu rechnen. Dennoch: Die hohe Zuwanderung hat und wird auch künftig einen »dämpfenden« Einfluss auf die Alterung der Gesellschaft haben. Denn ohne Berücksichtigung der Zuwanderung wären die Baden‑Württemberger im Jahr 2060 im Schnitt nicht 48 sondern sogar 51 Jahre alt, so das Statistische Landesamt.

1Sofern nichts anderes angegeben wird, beziehen sich die folgenden Angaben auf die so genannte Hauptvariante.

 

Voraussichtlich Entwicklung der Bevölkerung in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2060*)
Jahr Bevölkerung insgesamt darunter im Alter von 65 und mehr Jahren Durchschnittsalter
Hauptvariante Untere Variante Obere Variante Hauptvariante Untere Variante Obere Variante Hauptvariante Untere Variante Obere Variante
1.000 % Jahre
*) 2014 Ist-Werte, danach Vorausrechnungsergebnisse auf Basis 31.12.2014.
2014 10.717 10.717 10.717 19,8 19,8 19,8 43,3 43,3 43,3
2020 11.093 10.962 11.300 20,5 20,7 20,2 43,8 44,0 43,6
2030 11.126 10.920 11.677 24,5 24,9 23,7 45,1 45,2 44,6
2040 11.094 10.830 11.771 27,2 27,5 26,3 46,3 46,5 46,0
2050 10.953 10.641 11.717 28,3 28,6 27,7 47,3 47,4 47,1
2060 10.721 10.375 11.542 29,7 29,8 29,5 48,0 48,0 48,0

 

Voraussichtliche Entwicklung der Zahl der Hochbetagten in Baden-Württemberg bis 2060*)
Jahr Bevölkerung insgesamt darunter Hochbetagte1)
1.000
*) 2014 Ist-Werte, danach Vorausrechnungsergebnisse auf Basis 31.12.2014 (Hauptvariante).

1) 85jährige und Ältere.

2014 10.717 273
2020 11.093 315
2030 11.126 410
2040 11.094 493
2050 10.953 721
2060 10.721 805

i

Weitere Informationen

Ergebnisse einer mit dieser Landesvorausrechnung abgestimmten neuen regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung unter anderem für Kommunen und Kreise werden voraussichtlich ab dem 14. Dezember 2015 verfügbar sein.

Zu den Annahmen der neuen Bevölkerungsvorausrechnung

Geburtenrate

Die Geburtenrate lag im vergangenen Jahr bei durchschnittlich 1,46 Kindern je Frau. 2013 lag diese Kennziffer im Südwesten bei 1,41 und im Jahr 2012 bei 1,39. Damit war die Geburtenrate im vergangenen Jahr so hoch wie seit 1997 nicht mehr. Ursächlich für diesen Anstieg könnte unter anderem die deutlich verbesserte Kinderbetreuung im Land sein. Desweiteren könnten hierfür auch die in letzter Zeit sehr günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit einem Höchststand an Erwerbstätigen und einer relativ geringen Arbeitslosenquote im Land eine Rolle spielen. Aufgrund dieser aktuellen Entwicklung wurde für den Vorausrechnungszeitraum ein leichter Anstieg der Geburtenrate auf 1,5 Kinder je Frau unterstellt. Außerdem wurde bei den altersspezifischen Geburtenraten angenommen, dass der seit Jahrzehnten zu beobachtende Trend, dass die Frauen ihre Kinder tendenziell später bekommen, sich in den kommenden 10 Jahren fortsetzen wird.

Lebenserwartung

In den vergangenen sechs Jahrzehnten hat die durchschnittliche Lebenserwartung Neugeborener um rund 15 Jahre zugenommen. Heute hat ein neugeborenes Mädchen die Aussicht auf eine Lebenserwartung von durchschnittlich knapp 84 Jahren, bei den Jungen sind es 79 Jahre. Auch künftig dürfte die Lebenserwartung der Menschen in Baden‑Württemberg etwa durch medizinische Fortschritte weiter ansteigen. Für die Bevölkerungsvorausrechnung wird eine Zunahme der Lebenserwartung bis zum Jahr 2060 um knapp sieben Jahre bei den Männern und annähernd sechs Jahre bei den Frauen angenommen. Damit wird unterstellt, dass sich der künftige Anstieg bei der Lebenserwartung im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten abschwächen wird.

Zu- und Fortzüge über die Landesgrenze

Seit Bestehen des Landes Baden‑Württemberg gab es neben Perioden mit hohen Wanderungsgewinnen auch Jahre, in denen der Wanderungssaldo eher gering oder sogar negativ war. Insbesondere in diesem Jahr haben die Wanderungsgewinne aufgrund des Zustroms an Flüchtlingen ein sehr hohes Niveau erreicht, nachdem noch vor wenigen Jahren nur relativ wenige Menschen per Saldo in den Südwesten zugezogen sind. Momentan fällt es deshalb besonders schwer, das künftige Wanderungsgeschehen abzuschätzen. Die Historie lässt vermuten, dass das hohe Zuwanderungsniveau mittel- und langfristig wieder absinken wird. Für diese Annahme spricht zum einen, dass nach rund zwei Jahrzehnten mit zum Teil hohen Wanderungsgewinnen gegenüber dem übrigen Bundesgebiet diese Quelle praktisch völlig versiegt ist und zum anderen, dass aus den europäischen Hauptherkunftsgebieten die besonders »wanderungsaktive« junge Bevölkerung aufgrund der Altersstruktur zahlenmäßig zurückgehen wird. Tempo und Ausmaß des Rückgangs der Wanderungsgewinne – also der Differenz zwischen Zu- und Fortzügen – sind allerdings ungewiss. Aus diesem Grund wurde mit unterschiedlichen Annahmen gerechnet: In der Hauptvariante wurde für den gesamten Vorausrechnungszeitraum (2015 bis 2060) ein positiver Saldo von 1,26 Mill. Personen unterstellt, in der Unteren Variante von ca. 0,96 Mill. und in der so genannten Oberen Variante von 1,95 Mill. Personen.

© Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart, 2015

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