Schlechte Noten für Sprache in Schulbüchern

Wortschatz und Niveau der Texte richten sich zu wenig nach den zu erwartenden sprachlichen Fähigkeiten der Schüler, fanden Forscher der Universität Tübingen heraus

Die sprachliche Komplexität von Schulbuchtexten ist nur bedingt an den Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler angepasst, so dass es zu Überforderungen und Unterforderungen kommen dürfte. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Tübingen, in der knapp 3.000 Texte aus Geografiebüchern von vier Schulbuchverlagen für die Klassen fünf bis zehn für Hauptschulen und Gymnasien untersucht wurden. Viele Texte wiesen hierbei sprachliche Merkmale auf, die untypisch für die jeweiligen Klassenstufen und unterschiedlichen Schularten waren. Außerdem zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Schulbüchern der einzelnen Verlage in der Hinsicht, dass die sprachliche Schwierigkeit der Texte zwischen den Klassenstufen unterschiedlich schnell zunahm. „Es gibt noch Verbesserungspotenzial, zum Beispiel beim Wortschatz oder bei den grammatischen Strukturen“, sagt Karin Berendes vom Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung der Universität Tübingen, die Erstautorin der Studie. Die Ergebnisse wurden im Journal of Educational Psychology veröffentlicht.

Knapp 3.000 Texte aus 35 in Baden-Württemberg zugelassenen Schulbüchern haben die Bildungsforscher und Linguisten in Tübingen digitalisiert und mit Hilfe computerlinguistischer Methoden verschiedene Merkmale bestimmt, anhand derer die sprachliche Komplexität der Texte verglichen werden kann. Die Texte wurden beispielsweise danach analysiert, wie abwechslungsreich der darin enthaltene Wortschatz ist, aus wie vielen Wörtern ein Satz im Durchschnitt besteht, welche grammatikalischen Strukturen verwendet werden, wie oft der Genitiv verwendet wird, der zu den komplizierteren Fällen zählt, oder nach der Anzahl der Konnektoren, also Wörtern wie „allerdings“ oder „stattdessen“, die verschiedene Satzbeziehungen herstellen.

Anschließend haben die Wissenschaftler die Texte aus Büchern der unterschiedlichen Klassenstufen und beiden Schularten miteinander verglichen. Je höher die Klassenstufe und das Leistungsniveau, desto komplexer müsse die Sprache der Texte sein, nahmen sie an. Außerdem interessierte die Wissenschaftler, ob es Unterschiede zwischen den einzelnen Verlagen gibt. Da manche Bücher für zwei Schuljahre verfasst waren, wurden immer zwei Klassenstufen zusammengefasst und die Bücher der 5. und 6. Klasse mit den Büchern der 7. und 8. Klasse sowie der 9. und 10. Klassen verglichen. Auf Basis der computerlinguistischen Analysen konnten die Wissenschaftler herausfinden, ob die Texte der höheren Klassen auch tatsächlich komplexer waren als die der unteren Klassen, ob die Bücher für die Hauptschulen sich von denen der Gymnasien unterschieden und ob es Unterschiede zwischen den Verlagen gab.

Das Ergebnis: Die untersuchten Schulbücher wiesen nur bedingt eine systematische Zunahme sprachlicher Komplexität auf, und es gab deutliche Unterschiede zwischen den Verlagen in dieser Zunahme. Das lässt vermuten, dass viele Texte nur bedingt an die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler angepasst sind. „Ob die Texte tatsächlich zu schwer oder zu leicht für die Schülerinnen und Schüler waren, konnten wir allerdings mit dieser Studie nicht herausfinden. Es gibt keine festgelegten Kriterien oder Standards, über welche Fähigkeiten Schüler in den einzelnen Klassenstufen und Schulformen verfügen sollten“, erklärt Karin Berendes. „Eine höhere Passgenauigkeit wäre jedoch wünschenswert.“ Denn sind die Texte in Schulbüchern zu schwierig, behindert das den Lerneffekt: Das Arbeitsgedächtnis ist überlastet, die Schülerinnen und Schüler können die Textelemente nicht oder nur bedingt mit den Informationen verknüpfen, die der Text eigentlich vermitteln sollte, und haben daher Probleme, den Text zu verstehen. Zu leicht dürfen die Texte ebenfalls nicht sein, weil der optimale Lerneffekt erst dann eintritt, wenn der neue Lernstoff leicht über dem aktuellen Niveau der Schülerinnen und Schüler liegt.

Detmar Meurers, Professor für Computerlinguistik an der Universität Tübingen, resümiert: „Autoren von Schulbüchern müssten viel systematischer berücksichtigen, was Texte passend für Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersstufen und Leistungsniveaus macht, um die Schüler inhaltlich und sprachlich zu fördern. In den Verlagen gibt es zu wenige Experten, die sich mit einer breiten, sprachwissenschaftlich fundierten Analyse von Texten auskennen. Da nicht jeder Schulbuchautor auch ein Sprachexperte sein kann, könnten computerlinguistische Werkzeuge, wie die in der Studie verwendeten, die Autoren prinzipiell auch bei der Auswahl und Erstellung von Texten unterstützen.“ Entsprechend fordert Professor Ulrich Trautwein, Direktor des Hector-Instituts für Empirische Bildungsforschung, eine bessere Vernetzung von Wissenschaft und Praxis ein: „Unsere Studie ist ein weiterer Beleg dafür, dass die schulische Praxis von Erkenntnissen der Bildungsforschung profitieren könnte.“

PM

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