Regierungserklärung: Krise bewältigen und Zukunft gestalten

Wie kommt Baden-Württemberg durch den Winter und wie machen wir das Land zukunftssicher und krisenfest. Insgesamt benennt Ministerpräsident Kretschmann fünf Themenbereiche, für ein klimaneutrales Baden-Württemberg, in dem wir auch in Zukunft in Freiheit und Wohlstand zusammenleben können.

In seiner Regierungserklärung hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann den Fahrplan der Landesregierung zur Bewältigung der aktuellen Krisen skizziert. Dabei geht es nicht nur darum, die Auswirkungen der aktuellen Krisen abzumildern. Die Landesregierung will auch Maßnahmen ergreifen, das Land widerstandsfähiger gegen solche Krisen zu machen und die Zukunft nachhaltig zu gestalten. Die Regierungserklärung stand daher auch unter dem Titel: „Das Dringende tun und das Wichtige vorantreiben – Die Krise entschlossen bewältigen, die Zukunft mutig gestalten“.

Zuvorderst steht der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dieser hat die Welt vor eine neue Situation gestellt. „Dieser Zeitenbruch fordert viel von uns: Geld und Wohlstand“, sagte Ministerpräsident Kretschmann zu Beginn der Regierungserklärung. Er machte aber auch deutlich, dass der Krieg von den Menschen in der Ukraine Unvorstellbares fordere: „Sie kämpfen für ihre Würde, ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit und für die Zukunft ihrer Kinder. Die Menschen in der Ukraine kämpfen aber auch für unsere Sicherheit und für unsere Freiheit. Und deshalb dürfen wir eines nicht vergessen: Wir zahlen für den russischen Angriffskrieg und die daraus resultierende Inflation in Euro – die Ukrainer zahlen in Blut.“ Daher dürfen man die Solidarität mit der Ukraine keinen Moment vergessen. „Auch wenn wir selbst vor großen Aufgaben und Problemen stehen.“

Putin greift auch uns an

„Putin und sein Regime greifen nicht nur die Ukraine an, sondern auch uns. Er dreht uns und unserer Wirtschaft das Gas ab. Er verbreitet Lügen in den sozialen Netzwerken. Er finanziert Rechtsradikale und Rechtspopulisten. Er droht mit der Atombombe. Er will Chaos stiften, unsere Wirtschaft abwürgen, unsere Gesellschaft spalten, und das Vereinte Europa zerstören. Doch er wird damit keinen Erfolg haben. Wir lassen uns nicht einschüchtern! Gemeinsam mit unseren Partnern halten wir die Sanktionen gegen Russland aufrecht und helfen der Ukraine, sich selbst zu verteidigen“, machte Kretschmann den Standpunkt der Landesregierung klar.

Kretschmann verwies auf die Anstrengungen von Bund und Ländern, um die Folgen der Krise für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen abzufedern. Baden-Württemberg habe zudem früh reagiert und gemeinsam mit allen zentralen Akteuren Krisenstrukturen geschaffen.

Kretschmann berichtete von den Ergebnissen der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang November. Ein wirtschaftlicher „Abwehrschirm“ entlastet Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen mit 200 Milliarden Euro. Neben dem „Abwehrschirm“ haben sich Bund und Länder über das Entlastungspaket III im Umfang von 65 Milliarden Euro verständigt. Hier beteiligen sich die Länder an der Finanzierung.

Menschen und Unternehmen in der Krise beistehen

„Die Hilfen kosten uns als Land und die Kommunen in Baden-Württemberg bis 2024 rund 4,8 Milliarden Euro. Das ist schon eine gewaltige Dimension. Das geht bis an die Grenze dessen, was wir leisten können. Und dennoch ist es richtig und wichtig. Denn wir müssen den Menschen und Unternehmen in dieser tiefen Krise beistehen“, betonte Kretschmann.

Neben den gemeinsamen Hilfen werde das Land dort, wo es Lücken gebe, diese schließen, versprach der Ministerpräsident in der Regierungserklärung. Dafür habe man im Haushalt entsprechende Rücklagen gebildet. „Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen im Land können sich auf uns verlassen: Wir lassen niemand im Regen stehen, wenn unsere Hilfe gebraucht wird“, versicherte Kretschmann.

Ergänzende Maßnahmen der Landesregierung

Schließen der „Winterlücke“ zwischen Dezember-Abschlag und Energiepreisbremse für kleiner und mittlere Unternehmen. Dafür legt die Landesregierung ein Liquiditätsprogramm auf. Dieses umfasst zwei Komponenten. Erstens ein zinsverbilligtes Darlehen mit einem Zinssatz von 2,1 Prozent statt vier Prozent. Zweitens einen zinsverbilligten Liquiditätskredit plus einen zusätzlichen Tilgungszuschuss obendrauf – diese Gelder sollen zum 1. Januar 2023 bereitstehen.

Ein gemeinsames Härtefallprogramm mit dem Bund für besonders betroffene kleine und mittlere Unternehmen. Die Wirtschaftsminister von Bund und Ländern werden hierzu bis zum 1. Dezember 2022 ein Konzept vorlegen.

Das Land richtet sein Bürgschaftsprogramm neu aus. Damit unterstützen wir unsere Unternehmen in den kommenden beiden Jahren gemeinsam mit der L-Bank mit Bürgschaften in Höhe von 2,6 Milliarden Euro.

Beratungsangebot zur Energiekostenentlastung für Handwerk und kleinere Unternehmen ab Dezember.

30 Millionen Euro für einen Sondertopf für die soziale Infrastruktur. Damit stärken wir beispielsweise die wichtige Arbeit der Familienhilfe und Jugendhilfe.

„Bei einer solchen Krise liegt der Fokus natürlich erst einmal auf schnellen Hilfen und kurzfristigen Maßnahmen. Dadurch verhindern wir akute wirtschaftliche und soziale Notlagen. Das ist die dringende Aufgabe – und die nehmen wir sehr ernst“, so Kretschmann. Er verwies aber auch darauf, dass man den Blick auch auf die langfristigen Lösungen richten müsse. Denn man befinde sich in einem Zeitenbruch und einer „Epoche des Gegenwinds“, die eine Vielzahl von Herausforderungen bringe. Darauf müsse sich das Land auch langfristig einstellen.

Zahlreiche Herausforderungen für das Land

Kretschmann nannte neben dem aktuellen Krieg als Auslöser auch den sich zuspitzenden Konflikt zwischen den USA und China, die autoritäre Herausforderung mit einem Angriff auf unsere Demokratie und den Zusammenhalt von innen und außen sowie die ökonomischen Herausforderungen wie Digitalisierung, Dekarbonisierung und disruptive Geschäftsmodelle. „Und auf die ökologische Herausforderung mit der Klimakrise und dem Artensterben – der wohl größten Aufgabe, mit der wir als Menschheit je konfrontiert waren.“

Man müsse sich vor diesem Hintergrund die Frage stellen, wie man dafür sorgen könne, dass unsere Kinder und Enkel auch in Zukunft gut in unserem Land leben können. „Um das zu ermöglichen, müssen wir heute in der Krise nicht nur das Dringende machen, sondern auch das Wichtige.“

Kretschmann führte fünf Themenfelder auf, die die Landesregierung deswegen angehe.

Erneuerbare Energien als Generalschlüssel

„Und das Wichtige – das heißt zuallererst: Wir müssen unsere Wirtschaft und unsere Energieerzeugung dekarbonisieren, um die Klimaerhitzung zu stoppen, um die Freiheit der kommenden Generationen zu schützen und um unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Aber eben auch – und das macht der russische Überfall auf die Ukraine überdeutlich: Um unsere Sicherheit und Unabhängigkeit zu garantieren und damit Energie künftig für alle bezahlbar bleibt. Dafür ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien eine Art Generalschlüssel“, sagte Kretschmann.

Erneuerbare Energien seien heute eben nicht mehr nur Klimaenergien und Wohlstandsenergien, sie seien mehr denn je auch Sicherheitsenergien und Freiheitsenergien. „Und deshalb machen wir nun noch sehr viel mehr Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, beim Ausbau der Netze, bei Zukunftstechnologien wie grünem Wasserstoff, Brennstoffzellen oder intelligenten Stromnetzen.“

Der zweite Punkt des Ministerpräsidenten war das Thema Innovationen. Dabei hob er gezielte Investitionen und Innovationen in die entscheidenden Zukunftsfelder wie Green Tech, smarte Produktion, Life Sciences, Künstliche Intelligenz und Quantentechnik hervor. „Denn rund um diese Zukunftsthemen entsteht gerade eine neue Welt: Die Wirtschaft der Zukunft. Die Arbeitsplätze der Zukunft. Die Forschungszentren und Fabriken der Zukunft. Darüber hinaus sind Investitionen in diese Zukunftsfelder die beste Krisenvorsorge überhaupt“, betonte Kretschmann.

Innovation made in Baden-Württemberg

Als Beispiele nannte Kretschmann die Ansiedlungsstrategie des Landes – innovative Unternehmen sollen es so einfach wie möglich haben, sich in Baden-Württemberg niederzulassen. Dazu werde man unter anderem die Baden-Württemberg International zu einer „One-Stop-Agency“ ausbauen und sie mit allen relevanten Akteuren vernetzen.

Weitere Beispiele für den Bereich Innovation und Investition sind der Smart Production Park unter Führung des Cyber Forums in Karlsruhe, der Innovationscampus Health nach Vorbild des Cyber Valleys und eine neue ressortübergreifende Initiative zur Quantentechnologie, in der man die Kräfte bündele und die Top-Forschungsstandorte vernetze.

Kretschmann hob zu dem die Bedeutung von Start-ups für diesen Bereich hervor. Schon heute sei Baden-Württemberg neben Berlin und Bayern einer der drei stärksten Start-up-Standorte in Deutschland.

Zudem brächten die Strategiedialoge der Landesregierung mit den relevanten Akteurinnen und Akteuren aus den jeweiligen Bereichen Innovationen voran.

Weiterbildungsoffensive für die Arbeit der Zukunft

Zu alle dem gehörten aber auch gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, „die entwickeln, tüfteln und produzieren – und so dafür sorgen, dass aus einer guten Idee auch ein gutes Produkt wird“, so Kretschmann. Dies setze in Zeiten der Digitalisierung, der Transformation und des Strukturwandels eine umfassende und aktive Weiterbildungspolitik voraus. Baden-Württemberg habe deshalb 2021 als erstes Land überhaupt eine ressortübergreifende Weiterbildungsoffensive gestartet. „Die beste Weiterbildungsoffensive der Republik!“, sagte Kretschmann.

Als dritten Punkt der Agenda hat Kretschmann die Widerstandsfähigkeit des Landes identifiziert. Man müsse damit umgehen, dass die Zeiten von billigem Gas aus Russland vorbei seien. Genauso wie die bisherige Selbstverständlichkeit, dass die USA quasi zum Nulltarif für unsere Sicherheit gesorgt haben. „Das Beispiel ‚Russland‘ lehrt uns, wie gefährlich die Abhängigkeit von autoritären Staaten ist. Dafür müssen wir Vorsorge treffen, bevor dieser Fall eintritt. Also jetzt“, fand Kretschmann deutliche Worte.

Freihandelsabkommen nicht per se ablehnen

Auch China werde seine Handelspolitik immer weniger am Freihandel und immer mehr an der Geopolitik ausrichten. Darauf müsse man sich ebenfalls einstellen. Kretschmann sieht hier drei unmittelbare Handlungsfelder: „Erstens: Die europäische Zusammenarbeit verstärken, damit die Europäische Union als starker Player in technologischen Schlüsselbranchen auftreten kann. Zweitens: Den Freihandel mit demokratischen Staaten stärken. Und drittens: Bestehende Partnerschaften im asiatischen Raum stärken und neue Partnerschaften aufbauen. Denn all dies trägt zur Diversifikation unserer Handelsbeziehungen bei und sichert uns gegen geopolitische Risiken ab.“

Kretschmann warnte davor, Freihandelsabkommen per se abzulehnen – man müsse hier auch kompromissbereit sein. „Da können wir nicht erwarten, dass jedes Detail nach unseren Vorstellungen geregelt wird. Und ein Kompromiss mit einem demokratischen Staat ist deutlich besser als die Abhängigkeit von einem autoritären Staat“, stellte Kretschmann die Alternativen dar.

Moderne Verwaltung und weniger Bürokratie

Als vierter Punkt stehe die Modernisierung der Verwaltung auf der Liste. Man müsse übertriebene bürokratische Fesseln abstreifen, die man sich selbst angelegt hat. „Wir brauchen weniger Verhinderungskultur und mehr Ermöglichungskultur“, resümierte Kretschmann. „Dabei müssen wir zwei alte Fehler vermeiden. Der eine Fehler ist eine besinnungslose Deregulierung, die Großkrisen wie die Finanzkrise auslösen kann. Der andere ist der, der uferlose Überregulierung, die den Staat überfordert und schwächt.“ Hierzu werde die Landesregierung bis Ende des Jahres einen „Masterplan für die Transformation der Verwaltung“ auf den Weg bringen.

Der letzte aber wohl mit wichtigste Punkt in Kretschmanns Regierungserklärung war der gesellschaftliche Zusammenhalt. „Entlastungspakete alleine reichen nicht aus. Wir müssen alle unsere Ressourcen mobilisieren. Und unsere wichtigsten Ressourcen in dieser Krise sind nicht Gasspeicher, Pipelines oder LNG-Terminals. Unsere wichtigste Ressource – das sind die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wir brauchen ihr Engagement, ihren Gemeinsinn und ihren Durchhaltewillen, um diese Krise zu meistern“, richtete sich der Ministerpräsident direkt an die Bürgerinnen und Bürger.

Wir kümmern uns und brauchen Euch

Er ergänzte selbstkritisch: „Das verlangt von uns als politisch Verantwortlichen, dass wir ehrlich sind. Zumutungen benennen und die Lage nicht beschönigen. Und das heißt auch: mit den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe sprechen, ihnen etwas zutrauen. Aber auch Verantwortung von ihnen einfordern. Die Botschaft lautet also – wie ein Kommentator kürzlich schrieb – nicht nur: ‚Wir kümmern uns‘, das tun wir natürlich auch. Sie lautet auch: ‚Wir brauchen Euch‘“

Kretschmann forderte weniger Eigennutz und mehr Gemeinwohl. Man dürfe Demokratie nicht als Lieferservice verstehen, sondern müsse sie als gemeinsame Aufgabe sehen. „Das ist die Haltung, mit der wir durch den Winter kommen“, unterstrich Kretschmann. „Das heißt eben auch, dass wir Ängste nicht einfach vom Tisch wischen und über die Köpfe der Leute hinwegentscheiden dürfen. Wir müssen zuhören, wo es Sorgen und Kritik gibt, auf Bedenken mit Argumenten antworten, und Brücken bauen statt Gräben aufzureißen. Genau das tut meine Landesregierung.“

Zum Abschluss der Regierungserklärung rief Kretschmann dazu auf, die Perspektive zu wechseln und zu überlegen, wie die Menschen in 20 Jahren auf die heutige Zeit zurückblicken.. Er wünsche sich, dass die Menschen die frühen 2020er Jahre als eine Phase sehen, in der man eine schwere Krise gemeinsam durchgestanden habe.

„Als wir die Transformation unter schwierigen Bedingungen mutig angegangen sind – und so die Grundlage gelegt haben, für einen erneuerten, nachhaltigen Wohlstand. Als wir durch konsequenten Klimaschutz unseren Beitrag geleistet haben, die globale Erhitzung zu begrenzen. Als wir unser Land widerstandsfähiger gemacht haben. Und als wir Europäer uns selbst behauptet und die Idee von Demokratie und Menschenrechten verteidigt haben.“

Die Regierungserklärung im Wortlaut (PDF)

Foto von Dennis Williamson

PM Staatsministerium Baden-Württemberg

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