Entscheidung über ÖPNV-Neugestaltung Gutachter des Nahverkehrsplans äußert Kritik

Der Landkreis Göppingen steht vor großen Herausforderungen bei der Neugestaltung seines Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Änderungen bei der Zuweisung staatlicher Ausgleichsleistungen im Ausbildungsverkehr und die Umsetzung neuer Fahrplankonzepte auf Grundlage des Nahverkehrsplans vom Dezember 2015 beschäftigen die Verwaltung seit geraumer Zeit. Die Schwierigkeit bei der Ausgestaltung liegt darin, sowohl den gestalterischen Interessen, als auch den finanziellen Möglichkeiten und den Rahmenbedingungen nach dem Wettbewerbsrecht gerecht zu werden. Hierfür wurden für den Landkreis maßgeschneiderte Lösungen erarbeitet. Am kommenden Dienstag soll der Ausschuss für Umwelt und Verkehr (UVA) unter anderem über neue Fahrplankonzepte ab 1.1.2019 entscheiden.

Der Nahverkehrsplan wurde durch das Fachbüro PTV Karlsruhe und Herrn Dr. Berschin, Nahverkehrsberatung Südwest, bis Dezember 2015 gemeinschaftlich erarbeitet. Der planerische Auftrag an beide Büros war damit abgeschlossen. Davon unabhängig berät Herr Dr. Berschin den Landkreis aktuell noch im Rahmen des Modellprojekts “ÖPNV im ländlichen Raum” (Geislingen).

Der Kreistag hatte zuvor im Herbst 2015 entschieden, auf eigenwirtschaftliche Anträge im Genehmigungswettbewerb zu setzen. Eigenwirtschaftliche Anträge basieren im Wesentlichen auf den Tarifeinnahmen und den im System des ÖPNV befindlichen staatlichen Ausgleichsleistungen nach Personenbeförderungsrecht. Dieses Vorgehen wurde ebenfalls durch Herrn Dr. Berschin rechtlich begleitet. Die Busunternehmen haben in der Folge im Zuge der Genehmigungen für die Linienbündel Zusagen für die weitere Ausgestaltung des ÖPNV gemacht und sich bereit erklärt, an Planungen des Landkreises mitzuarbeiten. Diese wurden im Frühjahr 2018 weitgehend abgeschlossen und stehen zur Beratung durch den Ausschuss für Umwelt und Verkehr (UVA) am 17.4.2018 an. Sie umfassen im Volumen alle Linien des Landkreises.

Bei der Ausarbeitung der Fahrplankonzepte in den fünf Linienbündeln (Teilräumen) hat sich gezeigt, dass sich nicht alle Grundgedanken des Nahverkehrsplans in Bezug auf die Schülerverkehre umsetzen lassen. Dies betrifft insbesondere die zunächst empfohlene Koppelung der Unterrichtszeiten an die Fahrzeiten des ÖPNV (Taktverkehre), die bei der umfangreichen Anhörung zum Nahverkehrsplan auf heftige Kritik stieß und sich kommunalpolitisch nicht durchsetzen ließ. Entsprechend wurde bereits in die Beschlussfassung des Nahverkehrsplans am 11.12.2015 die Maßgabe aufgenommen, die Schülerverkehre, insbesondere zu Schulbeginn, weitestgehend in der heutigen Struktur aufrechtzuerhalten. Diese politische Willenserklärung muss aus Sicht der Landkreisverwaltung auch der Gutachter zur Kenntnis nehmen. Im Ergebnis konnten die Zielvorgaben des Nahverkehrsplans, die notwendigen Mehrleistungen zum Aufbau eines integralen Taktfahrplans mit Anschlusssicherung an die Schiene betreffend, nicht eingehalten werden. Die zuletzt im Detail durchgeplanten Taktverkehre mit den wichtigen Anschlüssen auf den Filstaltakt verursachten einen finanziell deutlich höheren Aufwand als zunächst erwartet.

Die jetzt von Dr. Berschin geäußerte generelle Kritik an der Vorgehensweise des Amts für Mobilität und Verkehrsinfrastruktur und den nach seiner Auffassung zu hohen Kosten, die durch die Überplanung der Linien entstanden sind, ist in Kenntnis des intensiven Diskussionsprozesses bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans nicht nachvollziehbar. Der Gutachter hat sich am Dienstag diesbezüglich direkt an die Kreistagsfraktionen gewandt. “Es wundert uns schon sehr, wenn Kostenfaktoren, die vom Gutachter selbst mitgestaltet wurden, jetzt in ihrer Höhe vollkommen in Frage gestellt werden, zumal diese noch aus dem Jahr 2014 stammen“ führt Landrat Edgar Wolff dazu aus. Wie das Amt für Mobilität weiter ergänzt, sind deutlich niedrigere Kostensätze aus Ausschreibungsergebnissen, insbesondere innerhalb von Verdichtungsräumen, nicht auf die Strukturen im Landkreis Göppingen übertragbar. Zu allen diesen Fragestellungen wird die Verwaltung in der Sitzung des UVA am 17.4.2018 Stellung beziehen.

Dr. Berschin bezweifelt darüber hinaus die Rechtmäßigkeit der Übertragung der zur Ausgestaltung des ÖPNV im Landkreis notwendigen Ausgleichsmittel an die Busunternehmen. Der Landkreis Göppingen erhält seit 2018 jährliche Zuweisungen in Höhe von rd. 4,9 Mio. €, die bisher direkt an die Busunternehmen flossen. Dies ist Ergebnis der ÖPNV-Reform des Landes, das die Mittel aus §45a Personenbeförderungsgesetz neu den Aufgabenträgern zur Verteilung zuweist. Um diese Mittel als Grundlage für den Busverkehr auch weiterhin gewährleisten zu können, muss der Kreistag zunächst eine “Allgemeine Vorschrift” erlassen, aufgrund derer die Mittel übertragen werden können. Sie muss transparent und diskriminierungsfrei ausgestaltet sein. Hierzu hat der Landkreis gemeinsam mit dem Filsland Mobilitätsverbund einen Entwurf erstellt, der ebenfalls zur Entscheidung im UVA am kommenden Dienstag ansteht. Dieser wurde durch die Frankfurter Kanzlei Allen&Overy geprüft und als gesetzeskonform bestätigt. Insofern sieht man im Landratsamt kein Risiko zu möglichen Rückzahlungsforderungen des Landes. Würde der Landkreis die Mittel hingegen nicht im bisherigen Umfang an die Busunternehmen ausschütten können, müssten alternativ Kürzungen des heutigen Fahrplans umgesetzt werden. Dies läge selbstredend nicht im Interesse des Landkreises.

“Auch wenn wir das aktuelle Vorgehen von Herr Dr. Berschin für sehr ungewöhnlich halten, nehmen wir die vorgetragenen Positionen selbstverständlich sehr ernst.  Wir arbeiten intensiv an einer fachlich und rechtlich nachvollziehbaren Aufarbeitung”, fasst Landrat Wolff den aktuellen Diskussionsstand zusammen. Die Frankfurter Anwaltskanzlei Allen&Overy wurde mit den geäußerten Einwänden des ÖPNV-Fachmanns konfrontiert und wird sich hierzu bis zur Sitzung am kommenden Dienstag nochmals detailliert äußern. Dies umfasst auch die wettbewerbsrechtlichen Fragen zum Volumen der zu beauftragenden Mehrleistungen.

PM

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