Betreff: Stellungnahme zur drohenden Schließung der Helfensteinklinik in Geislingen

Sehr geehrter Herr Landrat Edgar Wolff,

wir, das Bündnis Klinikrettung, schreiben Sie an aufgrund der anstehenden Entscheidung des Aufsichtsrats der ALB FILS KLINIKEN und des Kreistags von Göppingen, die Helfenstein-Klinik in Geislingen zu schließen. Das Bündnis Klinikrettung hat sich gegründet, um über das Problem der bundesweiten Klinikschließungen öffentlich zu informieren und die Bürgerinitiativen sowie politische EntscheidungsträgerInnen dabei zu unterstützen, Lösungen zum Erhalt der wohnortnahen Kliniken zu finden.

Seit 2020 werden vermehrt Kliniken geschlossen. Gutachter raten in der Regel zu einer Schließung, weil sie nicht unabhängig sind (vor allem Krankenkassen und private Klinikkonzerne sind wichtige Akteure in dieser Debatte). Krankenhäuser gehören aber zur Daseinsvorsorge, ihr Betrieb sollte sich nach dem Bedarf richten und nicht von der Wirtschaftlichkeit abhängen. Krankenhäuser sind mehr als stationäre Gesundheitseinrichtungen. Sie sind Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitsangebote in der Region. Die Schließung der Helfenstein-Klinik hätte unabsehbare Folgen für die Region um Geislingen, namentlich: 

• Die Entfernungen zum nächstgelegenen Krankenhaus steigen.

• Zusätzlich erschweren Gefälle und Steigungen die Anfahrt in die Klinik am Eichert.

• Die Anfahrzeiten für Notfälle werden deutlich länger. 

• Rettungskräfte und Notärzte werden durch längere Fahrzeiten auch länger gebunden sein.

• Regionale stationäre Vorsorgekapazitäten für Pandemien werden abgebaut.

• Die praktische Ausbildung von Ärzten und Pflegekräften entfällt.

• Benachbarte Pflegeheime können keine Pflegeschüler mehr für die praktische generalistische Pflegeausbildung in Ihre Helfenstein-Klinik entsenden.

• Es entfallen Ärzte der Helfenstein-Klinik für Notarzteinsätze und Bereitschaftsdienste, diese Dienste müssten auf verbleibende Arztpraxen verteilt werden. Vielfach brechen diese Dienste nach einer Klinikschließung zusammen. Neue Strukturen mit großen Entfernungen und Kosten müssen aufgebaut werden.

• Das fachärztliche Leistungsangebot in Geislingen und Umgebung wird sich signifikant verringern.

• Für niedergelassene Fachärzte sinkt die Attraktivität eines Standortes ohne Krankenhaus, es drohen Abwanderungen, oder es kommt keine Neuansiedlung – die Region stirbt ab.

Uns ist bekannt, dass Sie über eine Praxisklinik mit stationären Liegebetten als alternative Nutzungsform für Geislingen nachdenken. Wir warnen ausdrücklich davor, die Helfenstein-Klinik in eine Praxisklinik umzuwandeln. Sie sollten wissen:

Eine Praxisklinik ersetzt kein akutstationäres Krankenhaus. Sie liefert mit einer 8- bis maximal 12-stündigen Anwesenheit der Ärzte nicht die grundsätzlich nötige Erreichbarkeit bei diversen akuten Krankheiten. Behandlungsrisiken entstehen insbesondere bei eskalierenden Krankheitsverläufen in Abwesenheit des Facharztes.

• Praxiskliniken werden in Fachkreisen in auch unter den Bezeichnungen „Integrierte Versorgungszentren“ oder „Intersektoralen Gesundheitszentren“ diskutiert. Es handelt sich aktuell um Modellkonzepte, die deutschlandweit gesetzlich nicht geregelt sind. Uns ist in Deutschland kein Modell einer Praxisklinik bekannt, welches tatsächlich umgesetzt werden konnte.

• Allein im Bundesland Bayern wurden drei Klinken mit dem Versprechen geschlossen, diese in Praxiskliniken umzuwandeln, Hersbruck (2019), Waldsassen (2019) und Vohenstrauß (2020). An allen drei Standorten ist die Praxisklinik gescheitert. Hersbruck und Waldsassen stehen leer, Vohenstrauß wurde an einen Betreiber von Pflegeheimen veräußert. Landes- und bundespolitisch zeichnet sich ab, dass Krankenhäuser ohne Notfallversorgung an Rückhalt verlieren. Krankenhäuser mit Notfallversorgung werden möglicherweise mit einer verbesserten Finanzierung durch Krankenkassen und Bundesländer rechnen können. Im Koalitionsvertrag 2021 von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg und CDU Baden-Württemberg wird dies auf Seite 73 angedeutet: „Eine bessere Verzahnung der Sektoren und innovative Versorgungsmodelle sind zentral für eine moderne und zukunftsfähige Gesundheitsinfrastruktur in unserem Land. Dies unterstützen wir durch eine auskömmliche Landeskrankenhausförderung sowie eine konsequente und langfristig angelegte Krankenhausstrukturpolitik, die sich an regionalen und überregionalen Versorgungsbedarfen orientiert. […] Wir setzen uns beim Bund für eine sachgerechte Betriebskostenfinanzierung der Krankenhäuser ein, die Baden-Württemberg nicht weiter benachteiligt.“

Wir fordern Sie eindringlich auf.

• Revidieren Sie die Entscheidung über eine Klinikschließung.

• Revidieren Sie ihre Entscheidung auch angesichts der aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklung– es wäre fahrlässig, ein strukturell hochwertiges Krankenhaus aufzugeben.

• Verringern Sie keine stationären Behandlungskapazitäten. Die Corona-Pandemie lehrt uns, dass Reservekapazitäten gebraucht werden.

• Werden Sie Ihrer Verantwortung für über 100.000 Menschen in der Region gerecht.

• Es geht bei Ihrer Entscheidung um Menschen und deren Gesundheit. Die Gesundheit ist das höchste Gut.

Das Bündnis Klinikrettung versteht sich als Anwalt für wohnortnahe Krankenhäuser. Wir werden unser Schreiben der regionalen Presse zuschicken und weitere Öffentlichkeit darüber informieren. Wir erwarten eine Rückmeldung, wie Sie sich zukünftig eine wohnortnahe klinische Versorgung Ihrer Landkreisbevölkerung in hoher Qualität und zumutbarer Erreichbarkeit vorstellen.

Mit freundlichen Grüßen für das Bündnis Klinikrettung

Laura Valentukeviciute

Klaus Emmerich Vorstand Gemeingut in BürgerInnenhand 7 bis 31.08.2020 Vorstand von zwei kommunalen Kliniken

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