Externe Rahmenbedingungen wie Fachkräftemangel, PpUGV, Tarifvertrag des Marburger Bund zwingen zur Aufgabe stationärer Operationen an der Helfenstein Klinik in Geislingen

Sehr viel wurde in den letzten Tagen über die Schließung der Helfenstein-Klinik geschrieben und diskutiert. Nicht gespart wurde auch mit Verdächtigungen (das haben die doch schon seit Jahren gewusst) und Anschuldigungen (der Landrat bricht sein Versprechen), aber in einer heutigen Pressekonferenz mit dem Landrat Edgar Wolf sowie dem kaufmännischen Leiter der ALB FILS KLINIKEN, Wolfgang Schmid und dem medizinischen Geschäftsführer Dr. med. Ingo Hüttner wurde deutlich, wo die wohl unlösbaren Probleme liegen.

Wir haben vom Filstalexpress alle Daten und Fakten übersichtlich zusammengefasst:

  1. Fachkräftemangel Offene Stellen

Zusammen in den Standorten Göppingen und Geislingen sind zurzeit 50 Vollzeitstellen für examinierte Pflegkräfte nicht besetzt. In Geislingen gibt es 260 Vollzeitstellen, was 380 MitarbeiterInnen entspricht.

Vorgaben aus dem PpUGV (Verordnung zur Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen in pflegesensitiven Bereichen in Krankenhäusern) regeln seit dem 01.01.2019 die Personalausstattungen der Kliniken. Der verpflichtende Quotient von Pflegekraft zu Patientenanzahl sorgt bei fehlenden Pflegekräfte dafür, dass Betten in Göppingen und Geislingen unbesetzt bleiben. Wird der Quotient nicht eingehalten, gibt es Sanktionen für die Klinik. Zurzeit gibt es Quoten für die Bereiche Intensiv, Chirurgie, Geriatrie und Kardiologie. Weitere Bereiche werden im nächsten Jahr folgen.

Betten in der Klinik am Eichert ohne Intensiv, Kinder, NG und ZNA: 545; „In Betrieb befindliche“ Betten: 392; Gesperrte Betten: 153; Liegende Patienten: 383; Auslastung der aktuell verfügbaren Betten: 98 %

Betten in der Helfenstein Klinik ohne Intensiv und ZNA: 132; „In Betrieb befindliche“ Betten: 88; Gesperrte Betten: 44; Liegende Patienten 65; Auslastung der aktuell verfügbaren Betten: 74 %

Seit dem 1.1.2020 gilt zudem ein neuer Tarifvertrag mit dem Marburger Bund, der weitere Auswirkungen auf die Verfügbarkeit des medizinischen Personals hat.

Die Bereitschaftsdienste reduzieren sich auf max. vier im Monat, es muss mind. Zwei freie Wochenenden im Monat geben. Der Dienstplan muss mind. Einen Monat vorher vorliegen. Die maximale Wochenarbeitszeit wird bei bei „opt-out“ von 58 auf 56 Std. pro Woche reduziert. Der Abstand von Schichtdienst zu Schichtdienst wird von acht auf zehn Stunden erhöht.

Gerade in kleinen Kliniken sind diese Vorgaben unter Einbeziehung der Fort- und Weiterbildung, von Urlaub und Krankheit nur noch schwer umzusetzen.

  1. Behandlungsqualität

Es gibt bundesweit G-BA Mindestmengen für Operationen, um eine hohe stetige Qualifikation des medizinischen Personals zu gewährleisten. (Ösophagus, Pankreas, Knie-TEP). Die Helfenstein-Klinik erfüllt diese Mindestmengen nur noch bei den Knie-OPs.

Es gibt immer mehr Zertifizierungsnotwendigkeiten. Bisher wurden das Magenzentrum, das onkologisches Zentrum, das Traumazentrum, das Darmzentrum am Standort Göppingen zertifiziert

  1. Veränderungen bei den Behandlungsverfahren

Immer mehr Operationen werden ambulant statt stationär durchgeführt. So bei der Coloskopie, Polypabtragungen, Leistenhernie, lap. Galle. Die Medizin schreitet hier schnell voran, so dass weitere Operationen folgen werden.

Einige ambulante Behandlungen sollen auch weiterhin in Geislingen durchgeführt werden.

Außerdem verkürzen sich die Bettliegezeiten nach herkömmlichen Operationen laufend.

  1. Notfälle

Viele vital bedrohliche Notfälle werden heute schon nicht mehr in der HKG behandelt.

Herzinfarkt: „Time is muscle“ – Zeit Indikation bis Intervention (Katheter-Eingriff) so kurz wie möglich – bis 30 Min. werden angesetzt

Schlaganfall: Jede Minute zählt – bildgebende Untersuchungen direkt nach Einlieferung ins Akut-KH, im besten Fall mit Stroke-Unit (Christophsbad)

Polytrauma: 60 Min. zwischen Notruf und Aufnahme in KH, 90 Min. bis zur klinischen Therapie – Sicherstellung durch gute Erstversorgung oder Helikopter

Aortenaneurysma: Bei Ruptur: „Jede Minute zählt“ – Schwerpunktabteilung GCH in der KaE

Geplante Reform zur Notfallversorgung (INZ)

Die Verabschiedung der Reform ist für Ende 2020 vorgesehen, in Kraft tritt sie voraussichtlich ab 2021.

Dann entscheiden erweiterte Landesausschüsse über die Verortung „Integrierten Notfall-Versorgungs-Zentren“ auf Grundlage der G-BA nach Vorgaben (Kassen, KV, LKG). Die Einrichtung einer INZ erfolgt nur an ausgewählten Krankenhäusern. Die INZ ist die erste Anlaufstelle für jede Notfallversorgung. Sie ist hierfür besonders ausgerüstet und ausgestattet. Sie ist an 365 Tagen rund um die Uhr vollständig besetzt. Eine INZ wird es voraussichtlich nur in Göppingen geben. Dies hat zur Folge, dass der Rettungsdienst Geislingen weniger oder nicht mehr anfahren kann.

Eine zentrale Notaufnahme 24/7 mit acht Überwachungsbetten (FA-Standard ÄD inn. & chir., Radiologie) soll aber in Geislingen erhalten bleiben.

Folgende typische Notfälle sollen auch weiterhin in Geislingen behandelt werden:

Hypo-/Hyperglykämie

Unklarer Infekt, ambulant erworbene Pneumonie

Commotio bei Kindern und Senioren

Exsikkose aus Pflegeheim

Harnwegsinfekt / Verstopfter Cystofix in Pflegeheim

Unklarer Bauch nachts, konserv. Überwachung

Tiefe Beinvenenthrombose

Nierenkolik, wenn keine urologische Intervention nötig

Wundversorgung nach Sägeunfall Unterarm (ohne sofortige OP-Indik.)

Kinder-Schulunfall (UA-#) (ohne sofortige OP-Indik.)

Elektrounfall Handwerker (ohne Komplikation)

 

  1. Kosten

Der Erhalt des Status-Quo würde hohe Kosten bei weiter unklaren Zukunftsaussichten bedeuten.

  • Sanierungskosten innerhalb 10 J.: 52 Mio€ (Förderung Land Ba-Wü: ca. 10 Mio€)
  • zusätzl. jährl. Defizit steigt bis 2024 auf 3,5 – 4,5 Mio€
  • und bis 2030 weitere rd. 30 Mio€

Für den Betrieb des Gesundheitscampus würden dagegen erheblich geringere Kosten anfallen.

  • Kosten für Umwandlung kurzfr.: 3 – 5 Mio€ (Förderung über Strukturfond)
  • Sanierungskosten innerhalb 30 J.: 20 Mio€
  • Verbesserung AFK-Defizit 1,3 bis 3,3 Mio€

Dabei unterstützt das Land die Umwandlung zum Gesundheitscampus.

 

Wie soll jetzt der Gesundheitscampus aussehen? Welche Angebote sind geplant? Was wird aus den Mitarbeitern und Patienten?

 

  1. Geplante Angebote

Notfallklinik • Zentrale Notaufnahme 24/7 8 Überwachungsbetten (FA-Standard ÄD inn. & chir., Radiologie)

Stationäres Angebot • Kurzlieger-Station (10 Betten) • Palliativ-Station (12 Betten) evtl. Tagesklinik Integrative Medizin / Schmerz

Zwei Beatmungswohngemeinschaften Deutsche Fachpflege

Weiterhin: • evtl. Hospiz mit Tageshospizplätzen • evtl. Kurzzeitpflege • evtl. Betreutes Seniorenwohnen • evtl. Alten- / Pflegeheim

Ambulantes Angebot: Innere Ambulanz (Endoskopie, Diabetologie, Hepatologie) • Onkologische Ambulanz • Spezialisierte amb. Palliativversorgung • Chirurgisch e Ambulanz (ACH & OUZ) • Ab Okt.: Hebammensprechstunde

Praxen im Ärztehaus

  • Allgemeinmedizin • Kardiologie • Neurologie & Psychiatrie • Orthopädie & Unfallchirurgie • Nephrologie inkl. Dialyse • Zahnmedizin • Kieferorthopädie • Augenheilkunde • Ggf. Pneumologie / Schlaflabor

Ladenzeile / Dienstleister

  • Apotheke Sanitätshaus • Physiotherapie Café/ Bäcker • Kreissparkasse Anwaltskanzlei
  1. Mitarbeiter

Lösungen für Mitarbeiter (380 Personen, 260 Vollkräfte):

Verbleib an HKG: Die notwendigen 120 VK-MitarbeiterInnen bleiben am Gesundheitscampus Geislingen. Tätigkeit bspw. in Ambulanz, OP, ZNA, auf der Kurzliegerstation oder in der Palliativmedizin.

Interner Wechsel: Die weiteren 140 VK-Mitarbeiter wechselt an die KaE mit vergleichbarer Beschäftigung bspw. auf die Normal- oder Intensivstation oder in den OP-Bereich.

  1. Patienten

Für die Patienten ergibt sich eine „Rund-und-um-die-Uhr“ Notfallversorgung. Bei Verletzungen oder unklaren nichtlebensbedrohlichen Krankheitszuständen kann 24/7 die Notfallklinik aufgesucht werden. Medizinische Ersteinschätzung & Diagnostik sowie eine Telemedizinische Anbindung und Facharztstandard sind gewährleistet.

Ambulantes Operieren bleibt vorerst in HKG. Weiterhin auch langfristig die Innere Ambulanz (Endoskopie, Diabetologie, Hepatologie), die Onkologische Ambulanz, die Spezialisierte amb. Palliativversorgung und die Chirurgische Ambulanz (ACH & OUZ). Erweitert werden soll das Angebot durch eine Hebammensprechstunde ab Oktober.

Freiwerdende Räume sollen evtl. für weitere externe Praxen Verwendung finden.

 

Zusammenfassung der Klinikleitung:

Kernthesen Gesundheitscampus Helfenstein Klinik

  • Wir schließen keinen Klinikstandort, sondern passen die Helfenstein Klinik an die heutigen Herausforderungen an.
  • Wir gestalten die Balance zwischen Machbarem und Bedarf.
  • Umfang und Güte des Angebotes sind attraktiv. Wir gehen davon aus, dass die Bevölkerung es annehmen wird.
  • Wir werden dynamisch auf eine Nachfrageentwicklung der Bevölkerung reagieren müssen.
  • Eine planvolle Umstrukturierung ist besser als Zuwarten und jeweils anlassbezogen abzuschmelzen.

 

Joachim Abel

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