Neues NABU-Projekt setzt auf Kooperation zwischen Landwirtschaft und Naturschutz

Enssle: „Wenn es uns gemeinsam gelingt, auf zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wertvolle Rückzugsräume für die Natur zu schaffen, kann uns die Trendwende beim Artensterben gelingen“

Der NABU Baden-Württemberg startet heute (26.1.) offiziell mit einem neuen Projekt:  Unter dem Titel „Landwirt-schaf(f)t Lebensraum – Refugialflächen für die Artenvielfalt“ bietet der NABU Beratungen und Fachexkursionen für Landwirtinnen und Landwirte an. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die landwirtschaftlichen Betriebe die gesetzlich geforderten Refugialflächen so umsetzen können, dass dabei ein möglichst großer Mehrwert für die Artenvielfalt entsteht. Das Projekt wird von der Stiftung Naturschutzfonds mit Mitteln der Glücksspirale gefördert und läuft bis September 2024. Zum Projektauftakt traf sich der NABU heute mit verschiedenen Akteuren von landwirtschaftlichen Bildungseinrichtungen, Wissenschaft, Naturschutz und Behörden zu einem ersten Vernetzungstreffen in Renningen bei Stuttgart.

Refugialflächen – ein Ergebnis aus dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“

Das nach dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“ im Juli 2020 in Kraft getretene Biodiversitätsstärkungsgesetz sieht vor, auf zehn Prozent der landwirtschaftlichen Produktionsfläche in Baden-Württemberg sogenannte Refugialflächen zu schaffen. In Summe wären das 140.000 Hektar beispielsweise von Blühflächen, Hecken und artenreichem Grünland. Der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle ist sich sicher: „Wenn es uns gemeinsam gelingt, auf zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wertvolle Rückzugsräume für die Natur zu schaffen, kann uns die Trendwende beim Artensterben gelingen. Deswegen setzen wir darauf, dass vor allem besonders wertvolle Maßnahmen, wie mehrjährige Blühflächen, zur Anwendung kommen und durch das Land finanziell gefördert werden.“

Refugialflächen sind Lebens- und Rückzugsräume für Tier- und Pflanzenarten des Offenlandes. Deren Lebensraumbedingungen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verschlechtert. Feld- und Wiesenbrüter gehören zu den am stärksten gefährdeten Vogelarten in Baden-Württemberg. Als Refugialflächen gelten Landschaftselemente wie Hecken und Raine, mehrjährige Blühflächen und -brachen, Altgrasstreifen und artenreiches, extensiv bewirtschaftetes Grünland. Mehrjährige Blühmischungen für das Niederwild wurden 2021 im Südwesten auf nur 327 Hektar ausgesät, dies zeigt den dringenden Handlungsbedarf.

Mehrwert durch Mehrjährigkeit

„Besonders hochwertige Refugialflächen sind mehrjährige Maßnahmen. Einjährige Blühflächen werden in der Regel schon im Winter gemulcht und gepflügt. Für Insekten, die darin überwintern, werden sie dann zu Todesfallen. Damit würde das Insektensterben möglicherweise nicht gebremst, sondern sogar noch verstärkt“, erklärt NABU-Projektleiterin Miriam Willmott. Mehrjährige Blühflächen schützen Tiere und Pflanzen dagegen das ganze Jahr über. Sie bieten für Bodenbrüter wie Rebhuhn und Grauammer, aber auch für Säugetiere wie Feldhasen, Nahrung und Verstecke. Für Insekten und Spinnentiere, die im Boden überwintern oder ihre Eier in den hohlen Stängeln von vertrockneten Pflanzen ablegen, sind die Flächen überlebenswichtig. Durchziehende Wintervögel wie Bergfinken finden beispielsweise an trockenen Wilden Karden und Malven Winternahrung. Auch das Braunkehlchen, Vogel des Jahres 2023, profitiert von mehrjährigen Blühflächen.

Wertvolle Traditionen neu entdecken

„In dem Projekt wollen wir mit der Landwirtschaft in der Praxis in den Dialog kommen und für die ökologisch wertvolleren, in der praktischen Umsetzung häufig aber auch anspruchsvolleren Maßnahmen sensibilisieren. Wir wollen Landwirtinnen und Landwirten Wissen vermitteln und Lust auf die Maßnahmen machen. Wir werden aber auch über Herausforderungen, wie beispielsweise die Verunkrautung, sprechen“, erläutert Miriam Willmott. Ein wichtiger Aspekt ist zusätzlich der Erfahrungsaustausch zwischen den Landwirtinnen und Landwirten. „Jahrhundertelang hat die Landwirtschaft dafür gesorgt, dass in Deutschland eine reich strukturierte und artenreiche Kulturlandschaft entstanden ist. Dieses unausgesprochene Commitment zwischen Landnutzung und Artenvielfalt wollen wir im Projekt wiederbeleben.“

Warten auf dringend notwendige Verwaltungsvorschrift

Die Anerkennung von Refugialflächen wird durch eine Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Ländlichen Raum und im Einvernehmen mit dem Umweltministerium geregelt. Doch die Veröffentlichung dieser Vorschrift lässt bereits seit zwei Jahren auf sich warten. „Wir hoffen sehr, dass die Verwaltungsvorschrift schon bald das Licht der Welt erblickt und wir und die landwirtschaftlichen Betriebe endlich wissen, was als Refugialfläche anerkannt wird und was nicht. Wichtig ist uns, dass nur solche Maßnahmen und Flächen als Refugialflächen anerkannt werden, die der Natur wirklich helfen. Mitnahmeeffekte, wie zum Beispiel die von manchen Verbänden geforderte simple Anerkennung des Ökolandbaus als Refugialflächen, würden zwar auf dem Papier schnell zur Erfüllung des Zehn-Prozent-Zieles führen, für die Artenvielfalt wäre damit aber nichts gewonnen“, warnt Enssle.

Kurzinformation zum Projekt:

Das Projekt „Landwirt-schaf(f)t Lebensraum – Refugialflächen für die Artenvielfalt“ hat eine Laufzeit von zwei Jahren und wird mit Unterstützung der Stiftung Naturschutzfonds aus zweckgebundenen Erträgen der Glücksspirale gefördert. Das Ziel ist der Erhalt und die Förderung der biologischen Vielfalt auf Acker- und Grünlandflächen in Baden-Württemberg. Das Projekt will Landwirtinnen und Landwirte für die Bedeutung hochwertiger Refugialflächen sensibilisieren und für deren Anlage werben. Aktuelle Informationen finden Sie auf der Webseite unter www.NABU-BW.de/Refugialflaechen.

 

PM NABU (Naturschutzbund Deutschland), Landesverband Baden-Württemberg e. V.

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