Sonntagsgedanken: Vesperkirche zwischen Geborgenheit und Skandalisierung der Armut

Am Sonntag beginnt die 14. Geislinger Vesperkirche mit dem Eröffnungsgottesdienst in der Pauluskirche. Die Vesperkirche ist eine Veranstaltung mit zwei Gesichtern.

Viele Gäste fühlen sich hier geborgen. Hier trifft man Menschen, die man kennt und gern wieder sieht. Hier kann man über Sorgen und Nöte sprechen. Hier muss man nicht den starken Macker spielen, sondern darf so kommen, wie man ist. Hier entscheidet nicht die Größe des Geldbeutels darüber, was man als Mensch bedeutet. Was uns als Menschen ausmacht, ist doch keine quantitative, sondern eine qualitative Frage. Die Vesperkirche will die Liebe und Barmherzigkeit Gottes aufnehmen und in das Miteinander so einbeziehen, dass sich jede und jeder als Mensch angenommen und willkommen fühlen.
Andererseits macht die Vesperkirche Armut öffentlich. Arm ist nicht nur, wer wenig Geld hat. Bei uns ist jeder fünfte Erwachsene von Armut bedroht, bei Alleinerziehenden sogar jede zweite. Hartz 4 zementiert Armut. Erst die doppelte Höhe bei gleichen Preisen kann Armut wirklich bekämpfen. Für eine Rente über der Armutsgrenze braucht es einen Mindestlohn von 15 €. Arme haben es auch psychisch und sozial nicht einfach. Zudem ist man von vielen gesellschaftlichen Ereignissen ausgeschlossen und zieht sich oft auch selber zurück.

Die Vesperkirche fragt uns auch nach unserem Leitbild für unsere Gesellschaft. Soll es nur die fitten und smarten Juppies geben, die sich dicke Autos und Lofts leisten können oder soll es sozialen Raum für alle geben, so dass die Miete für die Wohnung weniger als ein Drittel des Einkommens beträgt.

Wenn die Höhe unseres Bankkontos und unsere Berufsarbeit unseren Wert als Menschen ausmachen – was für armselige Würstchen sind wir dann? Dann wären doch Kinder, alte oder kranke Menschen nichts wert. Was bin ich denn, wenn ich nur wichtig bin, weil ich bestimmte materielle Güter habe? Als Mensch kann ich doch nur wichtig werden durch meine inneren Haltungen und Einstellungen sowie die daraus folgenden Taten.

In der Vesperkirche soll der Geist wirken, der mit Jesus in die Welt kam. Er will uns motivieren, in seinem Sinne in unserem Alltag zu wirken und so auch unseren Alltag zu verändern.

Es lohnt sich, auch als „normal“ betuchter Mitmensch in die Vesperkirche zu kommen.

 

Pfarrer i. R. Dr. Karl-Heinz Drescher-Pfeiffer

Geislingen

 

 

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