Sonntagsgedanken Wie viel Freiheit tut uns gut? Wie viele Regeln brauchen wir?

Ich sitze in einem Eiscafé, vor mir steht mein Lieblingseis, das ich aus Herzenslust genieße. Es ist voll und eine Familie mit einem Kind sucht einen Platz. Mein Mann nickt: „Bei uns sind noch Stühle frei.“ Bald haben alle einen Becher vor sich. Doch das Kind scheint das eigene Eis nicht so recht zu mögen.

Es probiert beim Vater, dann bei der Mutter und unversehens auch bei mir. Seh ich richtig? Weder Vater noch Mutter erheben Einwände. Wie finde ich das denn? Regeln scheint es in dieser kleinen Familie nicht unbedingt zu geben? Wie könnte eine angemessene Reaktion meinerseits aussehen? Soll ich einfach ignorieren, dass hier ganz einfach Regeln ignoriert werden?

Regeln haben zwei Seiten: Sie sorgen dafür, dass unser Zusammenleben einigermaßen konfliktfrei gelingt, vorausgesetzt, alle akzeptieren sie und halten sich daran. Aber sie schränken uns eben auch immer ein: Warum soll ich auf einer gut übersichtlichen Landstraße 70 km/h fahren, nur weil mich ein Schild dazu auffordert, ohne dass ich irgendwo einen Grund dafür erkennen kann? Manche Regeln laden vielleicht sogar dazu ein, sich darüber hinwegzusetzen….

In der Bibel, unseren Heiligen Schrift, gibt es sehr viele Regeln. Sie werden als „Weisung Gottes für uns Menschen“ bezeichnet. Die bekanntesten sind die Zehn Gebote. Juden und Christen glauben: Auch wenn Gott jeder und jedem die ganz persönliche Freiheit geschenkt hat, ist es heilsam, die je eigene Freiheit zum Wohle eines gelingenden Zusammenlebens einzuschränken und sich an Grundregeln zum Wohle aller zu halten. Darin war sich Jesus mit allen Frommen seiner Zeit einig. Und dennoch gab es Unterschiede: Vehement wehrte sich Jesus gegen jeglichen Rigorismus. Regeln müssen nicht nur Sinn machen, sie müssen zuallererst von Barmherzigkeit durchdrungen sein. Jesus wollte zu keiner Zeit die Ge- und Verbote des Judentums, seiner Religion, außer Kraft setzen. Vielmehr suchte er in jeder Vorschrift die Liebe Gottes: Wie kann unser Zusammenleben von Barmherzigkeit und Verständnis füreinander geprägt sein? Welche Vereinbarungen tragen dazu bei, dass auch die Schwachen und die Wehrlosen zu ihrem Recht kommen? Für ihn erfüllte sich alles im Doppelgebot der Liebe: Wer Gott von ganzem Herzen liebt und seinen Nächsten wie sich selbst, der erfüllt das ganze Gesetz, die Weisung Gottes. Für die Rigoristen war das zu wenig, das grenze an Beliebigkeit.

Während damals das Pendel in die eine Richtung ausschlug, schlägt es heute in die andere aus: Alles scheint erlaubt, außer sich erwischen zu lassen. Ich meine auch dagegen würde Jesus etwas sagen: Übernimm Verantwortung für das, was du tust. Versetz dich in der Lage all derer, die durch deinen Egoismus das Nachsehen haben. Nicht alles ist erlaubt, nur weil keine Strafe droht.

Mein Eis teile ich gern augenzwinkernd mit einem fremden Kind. Und ich hoffe, es lernt, es tut unserem Zusammenleben gut, wenn wir aufeinander Rücksicht nehmen, wenn nicht jeder seine Ellbogen ausfährt und sich auf Kosten anderer über alle Regeln hinwegsetzt.

 

Pastoralreferentin Agnes Steinacker-Hessling, Rechberghausen/Wäschenbeuren

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