Sonntagsgedanken: Erlebnis Sonnwende

Das war er also, der Höhepunkt des Sommers. Nun werden die Tage wieder kürzer und die Nächte länger. In Schweden und Norwegen, wo die Licht- und Wärmespenderin unseres Planetensystems derzeit rund um die Uhr am Himmel steht, gibt dies einen Anlass für freudige Feste – nicht nur in Möbelhäusern. Aber auch im Kreis Göppingen locken abendliche Sonnwendfeuer zum Feiern ins Freie. Gelegentlich tragen die lodernden Flammen den Namen Johannes des Täufers. Jährlich am 24. Juni erinnert die Katholische Kirche an den Geburtstag des Heiligen, der dem Johannesfeuer den Namen gab. Und ein halbes Jahr später zur Zeit der Wintersonnwende brennen die Kerzen am Christbaum. Heiligabend – Geburtstag Jesu.

Familienstammbücher von Jesus oder Johannes als Beweis des jeweiligen Geburtsdatums existieren nicht. Das Weihnachtsfest am 24. und 25. Dezember stand erst im vierten Jahrhundert fest. Die Feier der beiden Geburtstagsfeste gerade an den Terminen im Winter und Sommer hat trotzdem eine symbolische Tiefe, auch wenn die christliche Übernahme alter Sonnwendfeste nicht sicher nachzuweisen ist. Was haben Jesus und Johannes mit Sonne und Licht zu tun?

Johannes hatte in der Bibel einen klaren Auftrag. Er sollte die Menschen auf das Kommen Jesu vorbereiten. In Predigten rief er sie zur Umkehr auf und kündigte den göttlichen Retter an. Als Jesus sich bei ihm taufen lässt und in die Öffentlichkeit tritt, hat Johannes seinen Auftrag erfüllt. „Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden“, sagt der Täufer in der Bibel. Johannes nimmt sein Licht also bewusst zurück, um einem viel größeren Licht Raum zu geben. Er braucht seine Kerze nicht mehr, wenn die aufgehende Sonne den ganzen Raum durchflutet.

In meinem Leben gibt es viele unerledigte Aufträge. Täglich kommen neue dazu. Auch wenn ich einen um den anderen abarbeite, komme ich oft gar nicht mehr zu dem, was mir eigentlich wichtig ist, was mir für mein Leben und Sein wesentlich erscheint. Vielleicht entdecken Sie auch bei sich den Berg an Alltagsgeschäft, der wertvolle Begegnungen, gemeinsame Zeit mit den Liebsten oder Zeit für sich selbst verhindert.

Manchmal wünsche ich mir da so eine doppelte Sonnwende: Das Wesentliche muss wachsen, der Berg muss kleiner werden. Was sind die vielen Kerzenlichter der Dinge, die ich erledige, gegen das Licht der Sonne, mein Sein?

Vielleicht kommen ja Ideen, wie ich neue Schwerpunkte für mehr Lebensqualität setzen kann, beim Blick in das Johannesfeuer, in die Flammen der Christbaumkerzen oder irgendwann anders im Jahr. Möglicherweise hilft dabei der Blick auf Johannes den Täufer. Für ihn hatte das Wesentliche und Wichtige, dem er Raum gab, der Grund seines Seins einen Namen: Jesus Christus.

 

Pfarrer Ralph Baumgartner

Wiesensteig

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