Sonntagsgedanken: Wie ist das mit der „Drachenschnur“?

Oktober, windiges Wetter, trockene Herbsttage, perfekte Witterung zum Drachensteigenlassen! Die vielversprechenden Anfänge waren für mich in der Schreinerwerkstatt meines Vaters zu suchen, als er begann, die geschliffenen Holzstäbe anzuwinkeln, sie zusammen zu montieren und das Drachenpapier mit Klebstoff über die Stäbe zu spannen. Es war für mich als Junge kaum auszuhalten, bis der Drache so weit war, dass ich ihn mit fast übertriebener Vorsicht auf der Vorderseite großflächig bemalen durfte. Und endlich war er fertig, der Papierdrachen, der fast so groß war, wie ich – damals.

Ein stabiler Bindfaden, aufgewickelt auf einem Holzvierkant, diente als Drachenschnur und sollte den Drachen im Wind halten.

Der langersehnte Augenblick war da: Wir legten die sechs Gehminuten in ausgeprägter Vorfreudenstimmung zurück und stellten uns auf dem Feld zum Start auf. Ich wusste genau, wenn der Arm von Papa von oben nach unten fällt, dann kann ich losrennen. Und so geschah es. Nur nach wenigen Metern Rennen stand der Drachen schon oben am Himmel. Der Wind zog und zerrte an unserem Papierdrachen und ich hatte allerhand zu tun, damit ich die Schnur in Händen behalten konnte – so viel Wind und so viel Zug, das war unerwartet viel für mich. Doch da: Zapp! Plötzlich fühlte sich der Drachen im heftigen Wind ganz leicht an. Um Himmels Willen! Endlich begriff ich, warum sich das alles so unbeschwert anfühlte: Die Schnur war gerissen und glitt langsam aber sicher zu Boden. Der Drache wurde von den Böen gepackt. Er wirbelte wild in der Luft herum und stürzte schließlich ab. Voll Enttäuschung und gleichzeitig Hoffnung auf einigermaßen reparierfähige Reste spürten wir den Drachen einige Felder weiter auf. Gott sei Dank, er hatte die Landung „überlebt“ – ein bisschen „Naturspuren“, aber das ließ sich richten. Problemanzeige: Die Schnur war eindeutig zu schwach und die Turbulenzen in der Luft zu heftig.

An den Turbulenzen im Herbstwind lässt sich wenig verändern. Man kann sie nicht beeinflussen. Doch die Schnur, die Verbindung zu dem, der den Drachen hält, die konnten wir durch eine noch stabilere Variante verbessern.

Zum Glück bin ich nicht festgebunden oder gar gefesselt. Und doch habe ich gegen so manche Bindungen in meinem Leben überhaupt nichts einzuwenden. Partnerschaft, Kinder, Freunde, Verwandte – ganz unterschiedliche Bindungen, die mein Leben prägen und wertvoll machen. Zwischen Gott und mir gibt es auch eine Verbindung – keine Schnur, oder kein Seil, sondern eine Vertrauensbeziehung, die mir im Leben Halt gibt. Sie zwingt mich nicht, sie nervt nicht und sie engt mich nicht ein. Im Gegenteil: Sie lässt mich das sein, wofür Menschen bestimmt sind: In aller Freiheit sind wir je ein Gegenüber Gottes: „Wir dürfen zu Gott Vater, Papa, sagen.“ Und wir dürfen seine Freundschaft in Stürmen oder ruhigen Phasen des Lebens genießen – die hält. Woher ich mir da so sicher bin? Paulus schreibt in einem Brief an eine Gemeinde in Rom: „Denn ich bin gewiss, das (…) uns nichts von Gottes Liebe, die in Jesus Christus bestaunbar ist, trennen kann“ (Römer 8,38f). Das ist eine „Schnur“, die hält. Die reißt nie ab. Eine Verbindung, die alle Stürme des Lebens übersteht und uns in Gottes bergender Hand bleiben lässt.

Also, beim Drachensteigen eine geeignete Schnur verwenden – und im Leben den Halt zulassen, den Gott uns schenkt. Dann kann es ein richtiges Abenteuer werden. Ich finde es klasse!

 

Hans Martin Hoyer, Evangelisch-methodistische Kirche, Friedenskirche Göppingen

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://filstalexpress.de/filstalexpress/57271/

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.