Sonntagsgedanken: Der Arme und der Reiche

Neulich las ich das wenig bekannte Märchen der Gebrüder Grimm „Der Arme und der Reiche“. Darin wird erzählt, wie Gott vor alten Zeiten in Gestalt eines schlichten Mannes unter den Menschen wandelte. Müde von der Wanderung kommt er abends zu zwei Häuser am Wegesrand und bietet um ein Nachtlager.

„Dem Reichen werde ich nicht beschwerlich fallen“ dachte Gott und bietet dort um Obdach, wird aber von diesem abgewiesen. Der Arme im Haus gegenüber nimmt ihn freundlich auf, teilt mit ihm das einfache Mahl und überlässt ihm sogar das eigene Bett, während er und seine Frau im Stroh schlafen. Am nächsten Morgen erfüllt ihnen Gott drei Wünsche: die ewige Seligkeit, Gesundheit und das tägliche Brot und zusätzlich noch ein neues Haus.

Als der Reiche erfährt, wie der Nachbar zu seinem neuen Haus gekommen ist, reitet er auf Geheiß seiner Frau Gott hinterher und erbittet ebenfalls drei Wünsche. Gott warnt und rät ab, denn es sei gewiss nicht gut für ihn, gewährt ihm aber schließlich doch die Erfüllung der Wünsche.

Auf dem Heimweg sinnt der Reiche nach, dass er sich ja das richtige Wünsche und kommt darüber so in Bedrängnis, dass er letztendlich seine Wünsche mit nutzlosen Nichtigkeiten, ja Bosheiten verschwendet.

Der Arme ist der „Gewinner“, eben weil er nichts will und das Wenige das er hat freigiebig teilt. Er erlangt Seligkeit und ein kleines Häuschen noch dazu. Der Reiche in seiner Gier hat am Ende weniger als zuvor und weiß nicht um die wichtigen Dinge des Lebens.

Die Gastfreundschaft, die der Arme anbietet und der Reiche verweigert, ist ein zentrales Thema in diesem Märchen. Gastfreundschaft und Solidarität wird dem fremden Wanderer wie selbstverständlich gewährt. In Zeiten globaler Unruhen und Krisen, die die heutige Welt kennzeichnet, gab es auch bei uns zahlreiche Beweise von Gastfreundschaft als hunderttausende in den vergangenen zwei Jahren sich auf den Weg machten und als Flüchtlingen in Deutschland Schutz und Asyl suchten und immer noch suchen. Vor allem das Ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingsarbeit war und ist enorm und kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Der Wind hat sich in den letzten Monaten jedoch etwas gedreht. Gastfreundschaft hat offensichtlich seine Grenzen. An der Psychologischen Beratungsstelle merken wir das zum Beispiel daran, dass ratsuchende Flüchtlinge, die zum Teil traumatisierende Erlebnisse hatten, wieder in vermeintlich sichere Heimatländer abgeschoben werden.

In dem Märchen wird weder der Reiche noch der Arme verurteilt. Ja, Gott gibt dem Reichen sogar seinen väterlichen Rat, sich lieber nichts zu Wünschen, weil er um die Nutzlosigkeit des immer mehr Wollens weiß. Auch wird hier nicht die Frage nach dem Zusammenhang oder gar den Ursachen der Armut und des Reichtums gestellt, und ob es dabei immer gerecht zugeht.

Für unsere moderne Zeit wird die Relation von Armut und Reichtum von Bert Brecht in zwei kurzen Zeilen unnachahmlich beschrieben: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sah´n sich an. Und der arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich“.

Armut als notwendige Voraussetzung von Reichtum und umgekehrt, kann das sein? Oder das die ungerechte Verteilung des wirtschaftlich erarbeiteten Wohlstandes in einer eigentlich reichen Welt eine Ursache von z. B. Flucht und Vertreibung ist? Papst Franziskus schreibt in  Evangelli Gaudium:  „Diese Wirtschaft tötet“, und prangert die Ungerechtigkeit einer Wirtschaft an, die Ausschließung fördert.

Aber  wir wollen unsere kleine Geschichte nicht zu sehr überfrachten mit Gedanken über die Welt wie sie ist und vielleicht sein könnte.

Im Märchen wird am Ende alles gut. Der Reiche hat etwas weniger, ist vielleicht aber doch um eine Erfahrung reicher. Der Arme hat etwas mehr, lebt vergnügt und still bis ans Ende seiner Tage und hat die Seligkeit gewonnen.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und noch eine sonnige Sommerzeit.

 

Gerhard Betz

Caritas Fils-Neckar-Alb

Leiter der Psychologischen Familien- und Lebensberatung Geislingen

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