Sonntagsgedanken: Woran sie uns erkennen

Neulich begegneten mir im Caritas-Zentrum zwei junge muslimische Frauen mit Kopftuch. Eine von ihnen war schwanger und wandte sich mit verschiedenen Fragen an unsere Beraterinnen. Die andere saß solange im Wartezimmer und las auf ihrem Smartphone vermutlich die neuesten Nachrichten auf WhatsApp. Sie wirkte gleichzeitig modern und fremd und ich machte mir so meine Gedanken, wie sie als Muslima wohl lebt.

Und dann fiel mir meine Großmutter ein. Sie trug auch oft ein Kopftuch, wenn sie im Garten oder auf dem Feld gearbeitet hat. Sie war Bäuerin und schützte sich damit vor Staub und Hitze und hielt ihre Haare so länger sauber. Ganz anders sonntags: Da zog sie besondere Kleider an und saß, ihr Haar frisch frisiert, in ihrer guten Stube, die werktags nie benutzt wurde. Auch sie drückte also in ihrem Aussehen und Verhalten einen Aspekt ihres Glaubens und ihrer Werte aus. Natürlich hatte dies einen ganz anderen Hintergrund, aber es erinnert  mich doch an das Kopftuch der Muslima und was es vielleicht für sie bedeutet.

Ich bin froh, dass mir meine Religion keine Kleiderordnung aufzwingt und meine Möglichkeiten, als Frau zu leben, nicht einschränkt. Ansätze dazu gäbe es in der Bibel ja genug. Und ich schätze es durchaus, mein Wohnzimmer die ganze Woche über nutzen zu können, keine Frage. Aber ich frage mich manchmal schon, woran die vielen Menschen aus anderen Kulturen und mit anderem religiösen Hintergrund, die mit uns leben, eigentlich unseren Glauben erkennen können. Sicher nicht an unserer Kleidung, selten einmal an einem Kreuz um den Hals, aber sonst? An ihren Früchten wird man sie erkennen, sagt Jesus dazu in der Bergpredigt. Indem wir uns z.B. um die vielen Flüchtlinge kümmern und ihnen helfen, hier Fuß zu fassen. Und  indem es uns nicht egal ist, dass zunehmend Menschen bei uns von Armut betroffen sind. Wenn wir Menschen in Not zuhören und uns Gedanken machen, wie alte Menschen gut und geborgen ihren letzten Lebensabschnitt verbringen können. Oder wenn wir Begleitung anbieten für die, die aus dem Arbeitsmarkt herausgefallen sind. Dafür setzen sich die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände ein und machen unseren christlichen Hintergrund sichtbar. Und das tun ganz konkrete Menschen, in den Gemeinden, im Caritas-Zentrum, haupt- und ehrenamtlich. Bevor allerdings diese sichtbaren oder spürbaren Äußerungen wirksam werden, geht es darum, eine Haltung zu entwickeln, die den Anderen, auch und gerade den Fremdartigen, als Geschöpf Gottes erkennt und Gott in ihm. Der kommende Sonntag Okuli führt uns das im wahrsten Sinne vor Augen: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn“ bedeutet dieser Name. Und am Beispiel Jesus wird uns ja deutlich, was das konkret heißt für unser Tun in der Welt. An ihm sehen wir diese bedingungslose Zuwendung, die die Liebe Gottes sichtbar macht.

Im Nachhinein finde ich es schade, dass ich mit der jungen Frau im Wartezimmer nicht länger ins Gespräch gekommen bin. Denn sie hat mich auch neugierig gemacht. Wovor schützt sie sich mit ihrem Kopftuch und was bedeutet es für ihre Seele? Vielleicht hätten wir gemerkt, dass wir bei aller Unterschiedlichkeit auch etwas gemeinsam haben und beide nach Antworten suchen auf die wesentlichen Fragen des Lebens. Vielleicht hätten wir gemerkt, dass uns zumindest die Suche nach dem verbindet, was über unser begrenztes Leben hinausweist, auch wenn wir dann letztlich zu anderen Antworten kommen.

 

Sabine Stövhase

Caritas-Zentrum

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