Sonntagsgedanken: Johannes Reuchlin: verschmähter Wegbereiter für die Zukunft

Vor 500 Jahren starb Johannes Reuchlin. Im Unterschied zum lauten und veranstaltungsreichen Luthergedenken vor 5 Jahren ist das Reuchlingedenken eher etwas für Insider. Dabei würde es so viel Grund geben, sich an Reuchlin zu erinnern, gerade jetzt – 80 Jahre nachdem über 1000 Juden von Stuttgart nach Theresienstadt zur Vernichtung abtransportiert wurden, 50 Jahre nachdem der Terroranschlag in München das hässliche Gesicht des modernen Judenhasses offenbarte.

Reuchlin war in Bezug auf die Juden der Gegenpol zu Luther, der ganz Kind des traditionellen christlichen Judenhasses war und grauenhafte Anweisungen zur Verfolgung der Juden gab. Was für ein Licht war dagegen doch Johannes Reuchlin. Er sprach die Juden vom vernichtenden Ketzervorwurf frei, er sah in ihnen Vollbürger des Reiches, die vollen Schutz genossen. Wie die Kirche so zählte er das Judentum zur europäischen Geisteswelt. Er ließ sie anders sein und forderte die Christenheit auf, die Juden zu lieben. Ein mutiger und einsamer Standpunkt: Die europäischen Eliten, Kaiser, Fürsten, Papst, Bischöfe, die mächtigen Dominikaner und die wortgewaltigen Theologen der Pariser Universität, alle brachen den Stab über den „Judenfreund“ Reuchlin. Am Ende steht das Urteil Roms: Reuchlin müsse in dieser Sache für immer schweigen. Josel von Rosheim der politische Führer der Juden in Deutschland zur Zeit Luthers würdigte Reuchlin dagegen als einen „Weisen der Völker“.

Erinnerung tut gut, nicht als Trauer über verpasste Chancen sondern als Vermächtnis für die Gestaltung der Zukunft. Es gibt solche Lichter in finsteren Zeiten. Ihr Licht leuchtet wie das Licht längst erloschener Sterne zu uns heute in die Gegenwart. Und wir dürfen die Wahrheit der damals vom Mainstream Verschmähten ans Licht bringen. Wie wäre es, wenn evangelische Christenmenschen Johannes Reuchlin in Unterricht und Kirche mindestens so gut kennenlernen würden wie Martin Luther, wie wäre es, wenn sein mutiges Eintreten für die Juden seiner Zeit, zum Leitstern der Kirchen heute würde und nicht die oberflächliche Pauschalkritik an Israel. Wie wäre es, wenn der katholische Christ Reuchlin in der katholischen Kirche als der gefeiert würde, der gegen die Dominikaner seiner Zeit die Wahrheit hochgehalten hat. Wie wäre es, wenn Reuchlin zum Vorbild würde und sein härtester Gegner Pfefferkorn recht bekommen würde, als er voller Wut über den Ausgang des Kampfes mit Reuchlin sagte: „Du meinst, man habe jetzt mit Martin Luther so zu schaffen, dass man deiner vergisst. Reuchlin, ich sag dir und glaub mir das: Deiner wird nit vergessen!“ (zitiert aus „Reuchlin oder Luther? Judenfreundschaft und Judenfeindschaft im Zeitalter der Reformation“, S. 8, von Kurt Österle 2017)

Pfr. Markus Herb, Rechberghausen

 

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