Sonntagsgedanken für Fronleichnam: Brot teilen – Leben teilen

Ich halte eine lange Liste mit Namen in Händen: So viele, die heute im Seniorenheim besucht werden möchten. Aber ich weiß: Nicht nur meine Zeit ist begrenzt; wenn ab 11:30 Uhr die Mittagessenszeit beginnt, kann ich keine Besuche bei einzelnen mehr machen. Beim Hochgehen der Treppe überlege ich, wie ich die Zeit einteile, damit ich heute wenigstens die Personen auf einem Wohnbereich besuchen und ihnen die Kommunion bringen kann.

Eine Erfahrung wie es viele gibt: Es reicht nicht. Die Zeit reicht nicht, das Geld reicht nicht, die Kraft reicht nicht… Zu wenig für so viele, die etwas brauchen: Zuwendung und Gemeinschaft, Unterstützung und Hilfe. Der Bedarf ist immer größer als das, was zur Verfügung steht. Das ist die Erfahrung, die auch in den Geschichten von der Brotvermehrung steckt, wie sie die Evangelien erzählen: Tausende sind da und hungrig. Und dann sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Gebt ihr ihnen zu essen.“ (Lk 9,13) Die pure Überforderung – das kann nicht gehen. Es reicht nicht: „Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische.“ So antworten die Jünger mit einem realistischen Blick auf ihre knappen Vorräte.

Diese Geschichte wird in diesem Jahr am Fronleichnamsfest gelesen. Sie ist der Hintergrund, auf dem wir dieses Fest feiern dürfen. „Fronleichnam“ – Fest des „Leibes des Herrn“. Es ist nur ein kleines, einfaches Stück Brot, das da gezeigt und verteilt wird. Wie soll das satt machen? Ja, zu Essen und zu Trinken haben wir hier alle genug. Aber wie ist es mit unserem Hunger nach Geborgenheit, Zuwendung, Liebe, Frieden…? Der ist viel größer als das, was wir aus unseren Kräften und Mitteln zur Verfügung haben. Aber genau da kommen wir zum Kern des Festes: Weil Jesus sein Leben mit uns teilt, reicht es plötzlich aus, ja – es ist sogar ein Überfluss da. Durch ihn wird in allen der Hunger nach Leben und Hoffnung gestillt. Und wir werden von ihm in diesen Vorgang einbezogen. Wir sollen das, was wir haben, einbringen und dürfen vertrauen, dass er mehr daraus macht. Mit Jesus beginnt ein Strom des Teilens, der alle erreicht.

Inzwischen bin ich oben auf dem Wohnbereich im Seniorenzentrum angekommen. „Unsere Bewohner sind heute bei dem schönen Wetter alle im Garten“, sagt mir die Pflegerin dort. „Aber Frau N. können Sie besuchen.“ Frau N. habe ich erst vor Kurzem besucht, sie liegt seit einigen Tagen im Sterben. Sie bekam auch vorher schon kaum Besuch. Die anderen können sich heute an der Sonne im Garten freuen, und ich habe plötzlich viel Zeit, um bei Frau N. zu sein. Sie reagiert kaum noch. Gespräch ist nicht mehr möglich. Aber ich singe ihr leise die Lieder aus dem Gesangbuch vor, die sie so sehr mochte. Jetzt habe ich viel Zeit – wunderbare Zeitvermehrung!

Pfarrer Bernhard J. Schmid, Katholische Kirchengemeinde St. Markus – Liebfrauen, Eislingen

 

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