Sonntagsgedanken: Die Post die man hört

Es ist Februar, die Sonne versteckt sich, der Wind bläst ins Gesicht. Überraschend, wenn ein Mensch mir freundlich begegnet. Unser Briefträger ist so jemand. Seit die Pandemie mich wie viele andere ins homeoffice verbannt, begegnen wir uns öfter. Meist hat er ein Lied auf den Lippen und pfeift fröhlich vor sich hin, während er mit Schwung sein gelbes Postrad durch das Wohngebiet steuert oder zu Fuß die Post verteilt.

Den Mittagsgruß verbindet er mit einem verschmitzten Lächeln. Da ist der Himmel gleich nicht mehr so trübe, die Stimmung hellt sich auf. Das geht nicht nur mir so. Unser Briefträger ist bekannt und beliebt. „Die Post, die man hört“, sagte kürzlich jemand. Auf den Regen angesprochen gibt er zur Antwort: „Das ist nicht tragisch, es gibt Schlimmeres.“ Für mich ist der pfeifender Briefträger ein Beispiel für gelebte Hoffnung, das Markenzeichen von Kirche.

Ich gebe zu, manchmal leben wir das nicht. Selbst starker Glaube erfährt Rückschläge oder wird von negativen Gefühlen und Zweifeln begleitet. Das Ergebnis sind Ängste, Sorgen oder sogar Hoffnungslosigkeit. Da lerne ich vom Briefträger, dass nicht die Institution Kirche, sondern Glaube und Hoffnung die Welt verändern. Aus Indien stammt das Sprichwort:

„Glaube ist der Vogel, der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist.“

Was für ein schönes Bild! Bildung hat mit Bildern in unseren Köpfen zu tun. Die Erfahrung des pfeifenden Briefträgers im Nieselregen und das Bild des singenden Vogels noch vor Morgengrauen verbinden sich zu einem Bild der Hoffnung. Ein Bild, das mich stärkt und bildet. Hoffnung und Gottvertrauen mobilisiert die Selbstheilungskräfte unseres Körpers. Eine positive Erwartungshaltung führt zu realen und messbaren Veränderungen im Körper. Aus der Freiheit, diese Welt nicht retten zu müssen, kann ich Schritte tun, dass diese Welt ein Stück besser wird. Ich kann damit umgehen, dass manches ganz schnell gehen müsste, aber nicht schnell geht. Widrigkeiten können mich nicht umstimmen. Das Dunkle darf nicht bestimmen. Die Post, die man hört, macht Mut.

 

Pfarrer Johannes Stahl, EMS Kirche weltweit, Göppingen

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