Sonntagsgedanken: Wir sind das Salz und nicht die Creme!

Am 9. Oktober zünde ich eine Kerze an. Nicht, weil jemand Geburtstag hat. Sondern weil ich mich an einen besonderen Tag erinnere. An einen Tag, an dem sich für mich und viele andere etwas wendete. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, dass die Panzer bereit stehen. Dass in den Krankenhäusern der Vorrat an Blutkonserven aufgestockt wurde. Keiner wusste, wie das Friedensgebet mit der anschließenden Montagsdemo in Leipzig dieses Mal enden würde. Ob es zu einer blutigen Auseinandersetzung kommt? Oder ob es gelingt, den Protest gegen Ideologie und Unfreiheit ohne Gewalt zu Ende zu bringen?

Am 9. Oktober 1989, also vor 32 Jahren, hat sich etwas ereignet, was viele nicht für möglich gehalten haben. Ein politisches System mit seinen Vertretern der Macht dankte ab. Gab auf. Wurde durch die friedlichen Proteste machtlos. Damit hatten wir nicht gerechnet. Nicht die Resignierten. Auch nicht die, die lieber zu den Waffen gegriffen hätten. Ich glaube, Gotteskraft war hier am Werk. Der Geist der Gewaltlosigkeit und der Erneuerung war in den Kirchen gesät worden. Und es gab genügend Menschen, die dem vertrauten. Die die Botschaft von Jesus hörten und sagten: „Endlich EINER, der sagte: Erste werden Letzte sein! Und nicht: Es bleibt alles beim alten. Endlich EINER, der sagte: Wer sein Leben einsetzt und verliert, der wird es gewinnen! Und nicht: Seid schön vorsichtig. Endlich EINER, der sagte: Wir sind das Salz! Und nicht: Wir sind die Creme!“ (Christian Führer, Pfarrer Nikolaikirche Leipzig)

Die Erfahrung vom 9. Oktober ist ein Geschenk an alle, die manchmal verzagen. Die Mühe haben, an eine friedliche Zukunft zu glauben. Sie hilft denen zu widersprechen, die sagen: „Es hat doch sowieso keinen Sinn“. Und sie ist eine Ermutigung für alle, die nichts weiter in den Händen halten als eine Kerze und doch für Recht und Freiheit eintreten. Als Christen und Christinnen tragen wir mit Verantwortung für ein friedliches und gutes Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft. Deshalb sind wir Salz. Und nicht Creme!

Pfarrerin Annett Comtesse

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