Sonntagsgedanken – Honig und Stachel

Gottes Wort gleicht der Biene: es hat Honig und Stachel!“ So sagt es der Talmud. Worte wie Honig, Worte wie ein Stachel. Liebesworte, kritische Worte. Jedenfalls Lebenswort.

Alle Deboras tragen das in ihrem Vornamen. Deborah heißt im Hebräischen Biene. Dahinter stecken spannende Geschichten. In religiösen Traditionen und Mythologien der Frühzeit hat die Biene kultische Bedeutung. So wurde beispielsweise die Priesterin von Delphi im antiken Griechenland als delphische Biene, als Melisse, bezeichnet, weil sie das Orakel mit Hilfe eines Bienenstocks sprach. Der Kontakt zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Welt wird also durch die Biene und ihren Honig möglich – sie wirkt Wahrsagung, Prophezeiung, Inspiration. Es ist ja die Biene, die Blumennektar in Honig verwandelt. Und die Honigwabe ist ein Kunstwerk, ein Wunderwerk der Bienen; in alledem kann man göttliche Weisheit entdecken.

In der Bildersprache des Hebräischen kommt noch etwas dazu: in „Debora“ steckt der Wortstamm „dawar“, was Rede oder Wort bedeutet. Die Richterin Debora, wie sie im biblischen Buch der Richter porträtiert wird, ist mit prophetischer Rede begabt. Sie hat die Gabe, für Gott zu sprechen. Und da ist nicht immer nur süßer Honig zu verteilen. Da kann auch ein Stachel nötig sein und gesetzt werden. Deborah hat mit ihren Worten Menschen wohl öfter auch einen Stich versetzt. „Gottes Wort gleicht der Biene: es hat Honig und Stachel.“

Honig – goldfarbig, süß, mit Lindenblütengeschmack, Raps oder Blumenwiese. Das ist ein schönes Gleichnis: Honig. Das göttliche Wort ist Nahrung und Genuss für die Seele; es tröstet, macht frei von falschen Bindungen und Autoritäten. „Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Gottes Wort verbindet Menschen, die sich nach Frieden und Gerechtigkeit sehnen. Beim Erzählen der biblischen Geschichten im Kindergarten oder im Religionsunterricht wird Vergangenes gegenwärtig und die Zukunft steht unter dem Vorzeichen „Gottes Wort bleibt in Ewigkeit.“

Wenn es zur Umkehr anstachelt, tut es auch weh. Es macht uns schmerzhaft bewusst, wo unser Leben in die verkehrte Richtung geht. Es zeigt uns, wo wir der Mitwelt, der Schöpfung und deshalb ja uns selbst Schaden zufügen. Gottes Wort, süß wie Honig und spitz wie ein Stachel. So wirkt es auf Menschen und wird durch sie weitergetragen.

Vielleicht sinnen Sie darüber nach, gleich morgen, beim Sonntagsfrühstück mit Honigbrötchen.

Schuldekanin Annette Leube

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