Fehlende Berufsorientierung weiterhin größtes Ausbildungshemmnis

Immer mehr Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistungsbranche in Baden-Württemberg übernehmen Studienabbrecher in eine Berufsausbildung. Damit beschreiten viele Unternehmen neue Wege bei der Gewinnung von Auszubildenden und reagieren gezielt auf die weiter rückläufigen Bewerberzahlen, ergab eine aktuelle Online-Umfrage der Industrie- und Handelskammern bei 1.900 ausbildenden Betrieben im Land.

„Die Berufsausbildung im Betrieb bietet den jungen Menschen eine positive Perspektive.“ sagt Dr. Martin Frädrich, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung bei der IHK Region Stuttgart, die im BWIHK für Fragen zur Ausbildung zuständig ist. Attraktiv an einer Berufsausbildung für ehemalige Studierende seien die Möglichkeiten der verkürzten Ausbildung, zeitgleicher Zusatzqualifizierungen wie zum Beispiel Sprachen sowie Karriereperspektiven durch anschließende höhere Berufsbildung, etwa zum Meister, Fach- oder Betriebswirt. In der IHK-Umfrage geben 42 Prozent der Unternehmen an, dass ihr Betrieb neue Bewerbergruppen erschließt, unter anderem Studienabbrecher. Das ist ein Anstieg seit 2013 um rund 30 Prozentpunkte. Angesichts der Tatsache, dass laut einer aktuellen Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) rund 18 Prozent der Bachelor-Studierenden in Baden-Württemberg innerhalb von drei Jahren ihr Studium abbrechen, stecke darin erhebliches Ausbildungspotenzial für die Betriebe. Erfreulich für die weitere Entwicklung der betroffenen jungen Menschen sei laut Frädrich, dass schon ein halbes Jahr nach Exmatrikulation rund 44 Prozent der Abbrecher in Baden-Württemberg eine Berufsausbildung aufnehmen (DZHW, Juni 2017).

Die Online-Umfrage der IHKs ergab auch, dass nur knapp 72 Prozent der befragten Unternehmen alle Lehrstellen im vergangenen Herbst besetzen konnten. Der Ausbildungsmarkt bleibt weiterhin ein Bewerbermarkt. Die größten Probleme bei der Besetzung seiner Lehrstellen hat das Gastgewerbe: Von den befragten Betrieben aus dieser Branche konnten fast drei Viertel ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen, gefolgt von 40 Prozent der befragten Verkehrsbetriebe und ebenfalls 40 Prozent der Befragten aus der Baubranche. Dabei melden immer mehr Unternehmen, die nicht alle Ausbildungsplätze besetzen konnten, dass sie gar keine Bewerbungen erhalten haben. Der Anteil stieg im Vergleich zum Vorjahr um fast fünf Prozentpunkte auf mehr als ein Viertel der betroffenen Betriebe.

Der häufigste Grund, dass Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, ist weiterhin der Mangel an geeigneten Bewerbern. Auf fast 70 Prozent der Unternehmen, die nicht alle Lehrstellen besetzen konnten, trifft dies zu. Nach wie vor mehr als ein Drittel der Umfrageteilnehmer identifizieren Ausbildungshemmnisse unterschiedlicher Art (Vorjahr 38 Prozent der Betriebe). Unter diesen Befragten rangieren bei fast 80 Prozent genau wie im Vorjahr unklare Berufsvorstellungen an erster Stelle. „Die vielfältigen Anstrengungen, die berufliche Orientierung der Schülerinnen und Schüler zu verbessern, greifen langsam. Die IHKs werden sich hier weiter voll engagieren“, so Frädrich. Von den befragten Unternehmen, die die Ausbildungsreife der Bewerber bemängeln, beklagen mehr als 60 Prozent mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen, annähernd so viele Leistungsbereitschaft und Motivation, mehr als die Hälfte die Belastbarkeit und ebenso Disziplin und Rechenfertigkeiten. Das sind die schlechtesten Umfrageergebnisse seit 2013.

Trotz dieser Entwicklung nimmt die Bereitschaft der Betriebe, leistungsschwächere Schulabgänger auszubilden, weiter zu. Von diesen Unternehmen unterstützen mehr als 40 Prozent mit Nachhilfe im Betrieb, rund ein Drittel nutzt die Angebote der Arbeitsagentur. Auch ist laut Umfrage die Bereitschaft Flüchtlinge auszubilden von ca. drei Prozent auf knapp neun Prozent der befragten Unternehmen seit letztem Jahr gestiegen. Für die nächsten zwei Jahre planen weitere 20 Prozent der Befragten, Geflüchteten in der Ausbildung eine Chance zu geben.

Obwohl die Zufriedenheit der an der Umfrage beteiligten Unternehmen mit den Berufsschulen hoch ist – rund 88 Prozent der Befragten sind zufrieden oder sehr zufrieden – sieht die übergroße Mehrheit der Unternehmen, die auf diese Frage geantwortet haben, noch Verbesserungsbedarf. Rund 62 Prozent der Unternehmen wünschen sich bessere Kommunikation zwischen Schule und Betrieb, 44 Prozent sehen Handlungsbedarf beim Unterrichtsausfall, rund ein Drittel bei der Lehrer-Weiterbildung und rund ein Viertel bei der Ausstattung der Schulen.
In den befragten Südwestunternehmen haben sich rund 37 Prozent der Beschäftigten weitergebildet. Der Fokus liegt dabei auf firmeneigenen Seminaren. Jedes zweite Unternehmen unterstützt seine Mitarbeiter mit Maßnahmen der höheren Berufsbildung, wie zum Beispiel der Qualifikation zum Meister, Fach- oder Betriebswirt. „Wer im Betrieb zum Meister oder Fachwirt aufgestiegen ist, verfügt über hervorragende berufliche Perspektiven“, sagt Frädrich. Mehr Beratung zur Weiterbildung wünscht sich laut Umfrage fast ein Drittel der Befragten. „Dazu haben sich die IHKs in Baden-Württemberg gut aufgestellt. Die Kammern im Land bieten ein breites Portfolio an Beratungsangeboten, sowohl für interessierte Arbeitnehmer wie für Betriebe“, so Frädrich weiter. Aus Sicht der Unternehmen könnte die Weiterbildungsbeteiligung durch den weiteren Ausbau zielgruppenspezifischer Förderung gesteigert werden, wie zum Beispiel Aufstiegs-BAföG, staatliche Prämien und Ausbau der Arbeitszeitkonten, um Zeit für Weiterbildung anzusparen.

PM

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